Wer sich mit allgemeiner Relativitätstheorie oder mit geometrischen Formulierungen der Hamiltonschen Mechanik beschäftigt, dem begegnen irgendwann die Begriffe Lie-Ableitung und Killingsche Vektorfelder. Diese Begriffe werden benötigt, um Symmetrien aufzudecken, sie auszunutzen und beispielsweise Konstanten der Bewegung zu finden. In Kapitel 7: Torsion ist uns bereits die Lie-Klammer begegnet, die ihren Ursprung ebenfalls in der Lie-Ableitung hat. Schauen wir uns daher einmal an, was sich dahinter verbirgt:
Wir beginnen mit der anschaulichen Vorstellung eines Strömungsfeldes auf der Mannigfaltigkeit \(M\). Dabei können wir uns vorstellen, wie sich kleine Staubkörnchen auf der Mannigfaltigkeit wie von einer Wasserströmung angetrieben entlang von Stromlinien fortbewegen. Besonders interessant werden später Strömungen sein, die zu einer Symmetrie gehören, beispielsweise eine Strömung von West nach Ost auf einer Kugeloberfläche.
Beginnen wir zur Zeit Null beispielsweise mit einem Staubkorn an einem Punkt \(p\). Zu einem späteren Zeitpunkt \(t\) wird das Staubkorn sich dann aufgrund der Strömung an einem anderen Punkt \(q\) befinden.
Um diese Fortbewegung mathematisch zu beschreiben, brauchen wir eine Abbildung \( \phi_{t} \), die die Fortbewegung von \(p\) nach \(q\) in der Zeitspanne \(t\) bewirkt: \[ q = \phi_{t}(p) \] Demnach ist \( \phi_{t} \) eine Abbildung, die jedem Punkt \(p\) von \(M\) einen anderen Punkt \(q\) von \(M\) zuordnet (nämlich den, an dem sich das bei \(p\) gestartete Staubkorn nach der Zeit \(t\) befindet).
Wir fordern, dass dieser Transport in differenzierbarer Weise geschieht, d.h. \( \phi_{t} \) ist für jeden Wert von \(t\) ein Diffeomorphismus auf \(M\) (die Strömung soll also keine Sprünge irgendwo haben). Außerdem soll natürlich \[ p = \phi_{0}(p) \] sein, d.h. \[ \phi_{0} = id \] ist die identische Abbildung, die gar nichts macht.
Die Abbildung \( \phi_{t} \) hat nun eine interessante Gruppeneigenschaft:
Ein Staubkorn, das im Punkt \(p\) startet, befindet sich nach der Zeit \(t\) am Punkt
\( q = \phi_{t}(p) \). Nach einer weiteren Zeitspanne \(s\)
befindet es sich am Punkt
\[
r = \phi_{s}(q)
= \phi_{s}(\phi_{t}(p))
= (\phi_{s} \circ \phi_{t} )(p)
\]
Man kann aber auch direkt die Zeitspanne \(s + t\) betrachten: in dieser Zeitspanne
bewegt sich das Staubkorn von \(p\) nach
\[
r = \phi_{s + t}(p)
\]
Es muss also gelten:
Fluss-Eigenschaft:
\[
\phi_{s + t} = \phi_{s} \circ \phi_{t}
\]
|
Wegen dieser Eigenschaft bezeichnet man die Abbildungen \( \phi_{t} \)
als einparametrige Gruppe von Diffeomorphismen.
Man sagt auch, \( \phi_{t} \) ist ein Fluss, denn dadurch wird der Fluss aller Punkte über einen Zeitraum \(t\) beschrieben.
Eine Flusslinie durch einen Punkt \(p\) ist dann eine Kurve \[ \rho_{p}(t) := \phi_{t}(p) \] Wegen \( \phi_{0} = id \) ist dabei \( \rho_{p}(0) = p \).
Zu jedem Punkt \(p\) gibt es eine solche Flusslinie \(\rho_{p}(t)\), wobei man natürlich viele dieser Flusslinien durch eine Parameterverschiebung ineinander umwandeln kann. Jede Flusslinie \(\rho_{p}(t)\) ergibt in \(p\) einen eindeutigen Tangentialvektor \(u(p)\), der über
Generierendes Vektorfeld (Geschwindigkeitsfeld des Flusses): \[ u(p) \, \varphi := \frac{d}{dt} \varphi( \rho_{p}(t) ) \bigg|_{t = 0} = \frac{d}{dt} \varphi( \phi_{t}(p) ) \bigg|_{t = 0} \] |
definiert ist ( \(\varphi\) ist dabei eine skalare Funktion auf M).
Also liefert \(u(p)\) die Änderung von \(\varphi\) aufgrund des Flusses. Oder anschaulich (man denke an eine Einbettung): \(u(p)\) ist die Geschwindigkeit, mit der sich ein Staubkorn aufgrund des Flusses im Punkt \(p\) bewegt. Das Tangentialvektorfeld \(u\) ist also das Geschwindigkeitsfeld des Flusses.
Man kann nun leicht zeigen, dass das Geschwindigkeitsfeld \(u\) den Fluss eindeutig bestimmt, indem man eine explizite Formel für \( \phi_{t}(p) \) aufstellt. Dazu starten wir mit \[ \phi_{s + t}^{\mu} (p) = \phi_{s}^{\mu} (\phi_{t}(p)) \] wobei der Index \(\mu\) oben ausdrückt, dass wir die \(\mu\)-te Koordinate meinen. \( \phi_{t}^{\mu}(p) \) ist also die \(\mu\)-te Koordinate des weitergeflossenen Punktes \(\phi_{t}(p)\). Präziser (aber auch umständlicher) wäre die Schreibweise \( [f^{ \mu} \circ \phi_{t}](p) \) mit der Koordinatenfunktion \(f\).
Wir können diese Formel nun in \(t = 0\) nach \(t\) ableiten, wobei wir verwenden, dass \( \phi_{s}^{\mu} \) eine skalare Funktion ist: \[ \frac{d}{dt} \phi_{s + t}^{\mu} (p) \bigg|_{t = 0} = \] \[ = \frac{d}{dt} (\phi_{s}^{\mu} (\phi_{t}(p)) \bigg|_{t = 0} = \] \[ = \frac{d}{dt} \phi_{s}^{\mu} (\rho_{p}(t)) \bigg|_{t = 0} = \] \[ = u(p) \, \phi_{s}^{\mu} \] Nun ist andererseits \[ \frac{d}{dt} \phi_{s + t}^{\mu} (p) \bigg|_{t = 0} \] dasselbe wie \[ \frac{d}{ds'} \phi_{s'}^{\mu} (p) \bigg|_{s' = s} \] d.h. wir haben die Differentialgleichung \[ \frac{d}{ds'} \phi_{s'}^{\mu} (p) \bigg|_{s' = s} = u(p) \, \phi_{s}^{\mu} \] Wir können nun statt \(s\) wieder \(t\) schreiben und die Schreibweise noch etwas vereinfachen: \[ \frac{d}{dt} \phi_{t}^{\mu} (p) = u(p) \, \phi_{t}^{\mu} \] Diese Differentialgleichung hat die eindeutige Lösung
Exponentialdarstellung des Flusses (in Koordinatendarstellung):
\[
\phi_{t}^{\mu}(p) =
e^{t \, u(p)} \, \phi_{0}^{\mu}
=
\]
\[ =
f^{\mu}(p) + t \, u^{\mu}(p) + \mathrm{Terme} \; \mathrm{mit} \, t^2, t^3, \, ...
\]
|
Dabei ist
\[
\phi_{0}^{\mu} =
f^{\mu} \circ \phi_{0}
=
f^{\mu} \circ id
= f^{\mu}
\]
die \(\mu-te\) Koordinatenfunktion.
Die Exponentialfunktion ist über die Reihenentwicklung definiert.
Der erste Term dieser Reihenentwicklung berechnet sich über
\[
u(p) \, f^{ \mu} =
\frac{d}{dt} f^{ \mu}( \phi_{t}(p) ) \bigg|_{t = 0} =
\]
\[ =
\frac{d}{dt} f^{ \mu}( \rho_{p}(t) ) \bigg|_{t = 0} =
u^{\mu}(p)
\]
(denn \(u(p)\) ist Tangentialvektor zur Flusskurve \(\rho_{p}(t) \) in \(t = 0\),
siehe auch Kapitel 4: Tangentialräume und Vektorfelder ).
Physiker schreiben auch gerne \[ x^{\mu}(t) = e^{t \, u(p)} \, x^{\mu} = \] \[ = x^{\mu}(0) + t \, u^{\mu}(p) + \, ... \] wobei \( x^{\mu}(t) \) die Koordinaten der weitergeflossenen Punktes sind. Man sieht hier sehr schön, wie \(u(p)\) (bzw. seine Komponenten) die Geschwindigkeit des Flusses darstellt. Da das Geschwindigkeitsfeld \(u\) über die obige Formel den Fluss gleichsam erzeugt, wird es auch generierendes Vektorfeld genannt.
Der Fluss ist eine Abbildung von \(M\) nach \(M\). An jedem Punkt von \(M\) sind nun andererseits Tangentialräume, Co-Tangentialräume etc. definiert. Kann man den Fluss vielleicht dazu verwenden, um auf naheliegende Weise eine Abbildung zwischen den verschiedenen Tangentialräumen (oder zwischen den Co-Tangentialräumen) zu definieren?
Das geht tatsächlich, und zwar über sogenannte Pull-Backs und Push-Forwards der Fluss-Abbildung. Was versteht man darunter?
Fangen wir mit einer skalaren Funktion \(\varphi\) auf \(M\) an. Stellen wir uns dazu vor, dass die Funktionswerte um einen Punkt \(p\) herum einen Berg bilden. Wir wollen nun erreichen, dass dieser Berg mit dem Fluss der Staubkörnchen mitwandert. Zur Zeit \(t\) soll sich der Berg also am weitergeflossenen Punkt \( q = \phi_{t}(p) \) befinden. Wir wollen also eine neue Funktion \[ \phi_{t*} \varphi \] definieren, die an jedem weitergeflossenen Punkt \( q = \phi_{t}(p) \) denselben Wert aufweist wie die ursprüngliche Funktion \(\varphi\) ihn am entsprechenden Ursprungspunkt \(p\) aufweist (der Stern \(*\) bezieht sich nicht aus das \(t\), sondern soll die Push-Forward-Abbildung von der Fluss-Funktion unterscheiden):
Push-Forward einer skalaren Funktion: \[ [\phi_{t*} \varphi](\phi_{t}(p)) := \varphi(p) \] oder gleichwertig dazu \[ [\phi_{t*} \varphi](p) := \varphi(\phi_{t}^{-1}(p)) \] |
Man bezeichnet \( \phi_{t*} \varphi \) als den Push-Forward
der Funktion \(\varphi\), da die Funktionswerte zusammen mit dem Fluss mitwandern,
also durch den Fluss gleichsam vorwärts gedrückt (push forward) werden.
Dabei ist \(\phi_{t*}\) eine Abbildung von skalaren Funktionen auf andere skalare Funktionen. Man sagt auch, \(\phi_{t*}\) liefert eine Darstellung der einparametrigen Gruppe der Flüsse \(\phi_{t}\) im Raum der skalaren Funktionen (zum Darstellungsbegriff siehe Quantenfeldtheorie und Eichfelder, Kapitel 2: Die Grundpfeiler: spezielle Relativitätstheorie und Quantentheorie).
Physiker kennen Formeln wie die obige von aktiven Symmetrietransformationen.
So kann man sich beispielsweise eine Kugeloberfläche vorstellen,
und der Fluss \(\phi_{t}\) entspricht z.B. einer Drehung um die z-Achse
um den Winkel \(t\).
Man kann nun auch die Umkehrabbildung \[ \phi_{t*}^{-1} =: \phi_{t}^{*} \] bilden (diesmal mit dem Stern oben), die dann die folgende Gleichung erfüllt:
Pull-Back einer skalaren Funktion: \[ [\phi_{t}^{*} \varphi](p) = \varphi( \phi_{t}(p) ) \] |
Die Funktion \(\phi_{t}^{*} \varphi \) hat also
an der Stelle \(p\) den Wert, den die Funktion \(\varphi\) am weitergeflossenen Punkt
\( q := \phi_{t}(p) \) hat.
Wenn wir uns vorstellen, dass die Funktionswerte von \(\varphi\) um den weitergeflossenen Punkt \(q\) herum einen Berg bilden, so hat die Funktion \( \phi_{t}^{*} \varphi \) diesen Funktionswerte-Berg um den Ursprungspunkt \(p\) herum. Der Berg wurde also gleichsam vom weitergeflossenen Punkt \(q\) zum Ursprungspunkt \(p\) zurückgeholt (pull-back). Man nennt daher die Funktion \( \phi_{t}^{*} \varphi \) den Pull-Back von \( \varphi \).
Man kann sich vorstellen, wie ein Berg mit dem Push-Forward mit dem Fluss mitwandert und durch den Pull-Back wieder in seine Anfangslage zurückgeholt wird. Oder man stellt sich vor, dass der Berg beim Push-Forward mit dem Fluss \(\phi_{t}\) mitwandert (also in \(t\)-Richtung), beim Pull-Back dagegen mit dem Umkehr-Fluss \(\phi_{-t}\) genau entgegengesetzt (also in negativer \(t\)-Richtung) mitwandert.
Kann man diese Ideen auch auf Tangential-Vektorfelder übertragen? Das geht, denn auch Kurven werden durch den Fluss weitergetragen, und Tangentialvektoren sind ja durch Richtungsableitungen entlang dieser Kurven definiert. Bei einer Einbettung kann man sich sogar ganz anschaulich vorstellen, wie ein solcher Tangentialvektor mit der zugehörigen Kurve mitwandert.
Machen wir es konkret:
Wir beginnen mit einer Kurve \(\gamma(s)\), so dass in \( p = \gamma(0) \) ein entsprechender Tangentialvektor \(v(p)\) als Richtungsableitung definiert ist (den reellen Kurvenparameter wollen wir hier \(s\) statt \(t\) nennen, um ihn vom Fluss-Parameter \(t\) in \(\phi_{t}\) zu unterscheiden).
Nun lässt man alle Punkte (und damit auch die Kurve) eine Zeit \(t\) mit dem Fluss \(\phi_{t}\) fließen. Aus der Kurve wird so die weitergeflossene Kurve \[ \phi_{t}(\gamma(s)) \] die im weitergeflossenen Punkt \( q = \phi_{t}(p) \) wieder einen Tangentialvektor \[ [\phi_{t*} v](q) \] als Richtungsableitung festlegt. Wir haben hier wieder die Notation \( \phi_{t*} \) verwendet, um nicht zu viele Symbole einzuführen; hier ist allerdings \( \phi_{t*} \) eine Abbildung, die Tangential-Vektorfelder auf Tangential-Vektorfelder abbildet (d.h. wir haben eine Abbildung im Tangentialbündel der Mannigfaltigkeit vor uns).
Aus dieser Anschauung, aus der Definition
der Tangentialvektoren als Richtungsableitungen und
aus der obigen Gleichung
\[
[\phi_{t*} \varphi](\phi_{t}(p)) =
\varphi(p)
\]
ergibt sich die folgende Beziehung:
\[
v(p) \, \varphi :=
\]
... wir verwenden die Definition von \(v(p)\) als Richtungsableitung entlang der
Kurve \(\gamma(s)\) im Punkt \( p = \gamma(0) \)
\[
=
\frac{d}{ds} \varphi(\gamma(s)) \bigg|_{s = 0}
=
\]
... nach Definition des Push-Forwards von \(\varphi\) können wir
\( \varphi(\gamma(s)) =
[\phi_{t*} \varphi](\phi_{t}(\gamma(s))) \) einsetzen:
\[
=
\frac{d}{ds} [\phi_{t*} \varphi](\phi_{t}(\gamma(s))) \bigg|_{s = 0}
=
\]
... wir verwenden die Definition von \( [\phi_{t*} v](q) \)
als Richtungsableitung entlang der
Kurve \( \phi_{t}(\gamma(s)) \)
im Punkt \( q = \phi_{t}(\gamma(0)) \)
\[
=:
\left\{ [\phi_{t*} v](q) \right\} \, \phi_{t*} \varphi
\]
Wenn man also alle Punkte und mit ihnen die Kurven und die Funktionswerte
von \(\varphi\) mit dem Fluss eine Zeit \(t\) fließen lässt, so bleiben die
dabei mitfließenden Richtungsableitungen unverändert.
Fassen wir zusammen: Der Push-Forward \( \phi_{t*} v \) des Vektorfeldes \(v\) ist definiert durch
Push-Forward eines Vektorfeldes: \[ \left\{ [\phi_{t*} v](q) \right\} \, \phi_{t*} \varphi := v(p) \, \varphi \] |
Diese Gleichung sieht ganz analog zur Definition des Push-Forwards
bei skalaren Funktionen von oben aus:
\[
[\phi_{t*} \varphi](q) :=
\varphi(p)
\]
nur dass bei Vektorfeldern neben dem weitergeflossenen
Punkt \( q := \phi_{t}(p) \) auch die weitergeflossene skalare Funktion \( \phi_{t*} \varphi \) gleichsam als
Argument auftritt.
Der Pull-Back des Vektorfeldes lässt sich nun wieder als Umkehrabbildung des Push-Forwards definieren: \[ \phi_{t}^{*} \phi_{t*} v = v \] Analog zum Pull-Back skalarer Funktionen, gegeben durch \[ [\phi_{t}^{*} \varphi](p) = \varphi(q) \] ergibt sich:
Pull-Back eines Vektorfeldes: \[ \left\{ [\phi_{t}^{*} v](p) \right\} \, \varphi := v(q) \, \phi_{t*} \varphi \] |
Wieder kann man sich vorstellen, wie die Tangentialvektoren
mit den Kurven beim Fluss mitschwimmen, so dass die Push-Forward-Tangentialvektoren
entstehen, und wie man diese Push-Forward-Tangentialvektoren mit dem Pull-Back
wieder in die ursprünglichen Tangentialvektoren zurückverwandeln kann.
Oder man stellt sich analog zu oben vor, dass der Tangentialvektor beim Push-Forward mit dem Fluss \(\phi_{t}\) mitwandert (also in \(t\)-Richtung), beim Pull-Back dagegen mit dem Umkehr-Fluss \(\phi_{- t}\) genau entgegengesetzt (also in negativer \(t\)-Richtung) mitwandert.
Dass das so ist, zeigt die folgende kleine Überlegung:
Man startet mit einem Tangentialvektor \(v(q)\) und der zugehörigen Kurve
\(\gamma(s)\) mit \(\gamma(0) = q\).
Zum Pull-Back \([\phi_{t}^{*} v](p)\) gehört dann die rückwärts-geflossene Kurve
\(\phi_{t}^{-1}(\gamma(s))\), denn es gilt:
\[
\left\{ [\phi_{t}^{*} v](p) \right\} \, \varphi =
\]
\[
=
\frac{d}{ds} \varphi(\phi_{t}^{-1}(\gamma(s))) \bigg|_{s = 0}
=
\]
\[
=
\frac{d}{ds} [\phi_{t*} \varphi](\gamma(s)) \bigg|_{s = 0}
=
\]
\[
=
v(q) \, \phi_{t*} \varphi
\]
Auch für Co-Tangentialvektorfelder kann man den Pull-Back und Push-Forward
definieren. Erinnern wir uns: den Co-Tangentialvektor in einem Punkt \(p\)
können wir uns als das Anstiegsverhalten (analog zum Gradienten)
einer skalaren Funktion \(\varphi\) in diesem Punkt vorstellen.
Diese Funktion \(\varphi\) wandert nun mit dem Fluss mit und generiert so das
Mitwandern (den Push-Forward) des Co-Tangentialvektors.
Das Wandern von \(\varphi\) in umgekehrter Richtung erzeugt analog den
Pull-Back des Co-Tangentialvektors.
Machen wir es wieder konkret:
Wie bei den Tangential-Vektorfeldern starten wir einem Punkt \(p\) und einer Umgebung um diesen Punkt, auf der eine skalare Funktion \(\varphi\) und eine Kurve \(\gamma(s)\) definiert ist, die bei \(s = 0\) durch \(p\) geht.
Der zu \(\varphi\) gehörende Co-Tangentialvektor \(d\varphi(p)\) war dann definiert durch die Richtungsableitung als \[ d\varphi(p) \, v(p) := v(p) \, \varphi = \] \[ = \frac{d}{ds} \varphi(\gamma(s)) \bigg|_{s = 0} \] (siehe Kapitel 5: Co-Tangentialräume und Differentialformen ).
Durch den Fluss wird nun die Kurve \(\gamma(s)\) zur Kurve \( \phi_{t}(\gamma(s)) \). Der entsprechende Tangentialvektor in \( q = \phi_{t}(p) \) lautet \( [\phi_{t*} v](q) \) (siehe oben), und die mitgeflossene skalare Funktion lautet \( \phi_{t*} \varphi \).
Diese mitgeflossene skalare Funktion definiert nun den mitgeflossenen (push-forward) Co-Tangentialvektor \[ [\phi_{t*} d\varphi](q) \] Die Rechnung verläuft vollkommen analog zu den Tangentialvektoren, nur dass diesmal die Definition der Co-Tangentialvektoren verwendet wird: \[ d\varphi(p) \, v(p) := \] \[ = \frac{d}{ds} \varphi(\gamma(s)) \bigg|_{s = 0} = \] \[ = \frac{d}{ds} [\phi_{t*} \varphi](\phi_{t}(\gamma(s))) \bigg|_{s = 0} = \] \[ =: [\phi_{t*} d\varphi](q) \, [\phi_{t*} v](q) \] In Kurzform könnte man auch schreiben: \[ \phi_{t*} d\varphi := d (\phi_{t*} \varphi) \] Mit \( \omega(p) := d\varphi(p) \) haben wir also insgesamt:
Push-Forward eines Co-Vektorfeldes: \[ [\phi_{t*} \omega](q) \, [\phi_{t*} v](q) := \omega(p) \, v(p) \] |
Die Umkehrabbildung zu diesem Push-Forward ist dann gegeben durch
Pull-Back eines Co-Vektorfeldes: \[ [\phi_{t}^{*} \omega](p) \, v(p) := \omega(q) \, [\phi_{t*} v](q) \] |
Schauen wir uns nun ein gegebenes Tangentialvektorfeld \(v\) an, das in einer Umgebung des Punktes \(p\) definiert ist. Wir lassen nun den Fluss \(\phi_{t}\) für eine sehr kurze Zeit t wirken, so dass der weitergeflossene Punkt \( q = \phi_{t}(p) \) noch in der Umgebung von \(p\) liegt.
Das Tangentialvektorfeld \(v\) hat an dieser Stelle den Wert \(v(q)\), wobei \(v(q)\) nicht über den Fluss aus \(v(p)\) hervorgegangen sein muss. Wir haben einfach nur ein vorgegebenes Vektorfeld, das in \(p\) den Wert \(v(p)\) und in \(q\) den Wert \(v(q)\) hat.
Wir können uns aber nun vorstellen, dass \(v(q)\) durch den Fluss aus einem Vektor \(w(p)\) hervorgegangen ist: \[ v(q) = [\phi_{t*} w](q) \] oder mit dem Pull-Back ausgedrückt: \[ w(p) = [\phi_{t}^{*} v](p) \] Da \(v(p)\) und \(w(p)\) im selben Tangentialraum liegen, können wir die Differenz bilden: Wie groß ist der Unterschied zwischen \(v(p)\) und dem Vektor, der über den Fluss den Vektor \(v(q)\) am Nachbarort ergibt?
Oder anders ausgedrückt: Wir interessieren uns dafür, in wieweit das Vektorfeld \(v\) nahe bei \(p\) von einem Vektorfeld abweicht, das durch Push-Forward (das Mitfließen) aus \(v(p)\) entsteht. Da \(p\) und \(q\) eng benachbart sein sollen, ist dies in erster Ordnung von \(t\) gleichbedeutend mit der Frage, in wieweit das Vektorfeld \(v\) in \(p\) von einem Vektorfeld abweicht, das durch Pull-Back aus \(v(q)\) entsteht.
Der Unterschied zwischen \(w(p)\) und \(v(p)\) wird für sehr kleine \(t\) proportional zu \(t\) mal einem Tangentialvektor aus \(T(p)\) anwachsen (denn \(v\) ist ein differenzierbares Vektorfeld, und \( \phi_{t*} w \) hängt ebenfalls differenzierbar von \(t\) ab).
Wir wollen diesen Tangentialvektor mit \[ [L_{u} v](p) \] bezeichnen und ihn die Lie-Ableitung von \(v\) in Richtung \(u\) nennen (warum diese Bezeichnung sinnvoll ist, kommt später). Dabei ist \(u\) das generierende Vektorfeld des Flusses \(\phi_{t}\).
Dann ist also für sehr kleine \(t\) \[ w(p) - v(p) = \] \[ = [\phi_{t}^{*} v](p) - v(p) = \] \[ = [L_{u} v](p) \cdot t + \, ... \] oder anders ausgedrückt:
Lie-Ableitung von Tangential-Vektorfeldern: \[ [L_{u} v](p) := \] \[ = \lim_{t \rightarrow 0} \, \frac{1}{t} \, \left\{ [\phi_{t}^{*} v](p) - v(p) \right\} = \] \[ = \frac{1}{t} \, [\phi_{t}^{*} v](p) \bigg|_{t = 0} \] |
Das zweite Gleichheitszeichen gilt, da
\[
[\phi_{t}^{*} v](p) - v(p)
=
[\phi_{t}^{*} v](p) - [\phi_{0}^{*} v](p)
\]
ist.
Diese Definition der Lie-Ableitung lässt sich vollkommen analog auch für skalare Funktionen, Co-Tangentialvektoren und höhere Tensoren formulieren. Die Vorgehensweise kennen wir bereits aus Kapitel 6: Kovariante Ableitung und Paralleltransport (dort hatten wir die kovariante Ableitung für Co-Tangentialvektoren und höhere Tensoren formuliert). Die Details schauen wir uns weiter unten noch an; lediglich für die skalaren Funktionen wollen wir die Betrachtung vorziehen:
Lie-Ableitung von skalaren Funktionen: \[ [L_{u} \varphi](p) := \frac{d}{dt} [\phi_{t}^{*} \varphi](p) \bigg|_{t = 0} = \] \[ = \frac{d}{dt} \varphi( \phi_{t}(p) ) \bigg|_{t = 0} = u(p) \, \varphi \] |
Wir wollen die Definition der Lie-Ableitung für Vektorfelder noch etwas umschreiben.
Schauen wir uns dazu zunächst den Push-Forward eines Vektorfeldes \(v\) an.
Dabei soll wie immer \(v(p)\) die Richtungsableitung in Richtung einer Kurve \(\gamma(s)\) in \(s = 0\) sein
mit \(p = \gamma(0)\).
In Koordinaten können wir den Push-Forward schreiben als
\[
[\phi_{t*} v](q) =: \sum_{\mu}
\, [\phi_{t*} v]^{\mu}(q) \, \frac{\partial}{\partial x^\mu}\bigg|_{q}
\]
mit \(q = \phi_{t}(p)\).
Zum Vektorfeld \( \phi_{t*} v \) gehört dabei die weitergewanderte Kurve
\( \phi_{t}(\gamma(s)) \).
Wie wir aus Kapitel 4: Tangentialräume und Vektorfelder wissen, sind die Komponenten eines Tangentialvektors gleich den Ableitungen der Kurvenkoordinaten. Bezeichnen wir die Koordinatenfunktion mit \(f\), so gilt also: \[ [\phi_{t*} v]^{\mu}(q) = \frac{d}{ds} [f^{ \mu} \circ \phi_{t}](\gamma(s)) \bigg|_{s = 0} = \] ... wir wissen von oben, dass \( \phi_{t}^{\mu}(p) = [f^{\mu} \circ \phi_{t}](p) \)\( = f^{\mu}(p) + t \, u^{\mu}(p) + \, ... \) gilt. Hier können wir \( p = \gamma(s) \) wählen und dies oben einsetzen: \[ = \frac{d}{ds} \, \left[ f^{ \mu}(\gamma(s)) + t \, u^{\mu}(\gamma(s)) + \, ... \right] \bigg|_{s = 0} = \, ... \] Zum ersten Term: Es ist \[ \frac{d}{ds} f^{ \mu}(\gamma(s)) \bigg|_{s = 0} = v^{\mu}(p) \] denn \(v(p)\) ist Tangentialvektor zu \(\gamma(s)\) in \(p = \gamma(0)\).
Zum zweiten Term: Da \( u^{\mu} \) eine skalare Funktion auf der Mannigfaltigkeit ist (das Vektorfeld \(u\) war ja überall dort definiert, wo der Fluss wirkt), und da \(v(p)\) eine Richtungsableitung entlang der Kurve \(\gamma(s)\) in \(p = \gamma(0)\) ist, haben wir \[ \frac{d}{ds} u^{\mu}(\gamma(s)) \bigg|_{s = 0} = v(p) \, u^{\mu} \] Wir setzen dies ein und erhalten: \[ ... \, = v^{\mu}(p) + t \, v(p) u^{\mu} + \, ... \] Unser Zwischenergebnis für kleine \(t\) lautet also: \[ [\phi_{t*} v]^{\mu}(q) = v^{\mu}(p) + t \, v(p) \, u^{\mu} + \, ... \] Analog können wir auch beim Pull-Back \(\phi_{t}^{*}\) vorgehen. Oben haben wir gesehen, dass der Pull-Back \(\phi_{t}^{*}\) zum Fluss \(\phi_{t}\) gleich dem Push-Forward \(\phi_{- t *}\) in umgekehrter Flussrichtung (Abbildung \( \phi_{- t}\) ) ist. Also ist \[ [\phi_{t}^{*} v](p) = [\phi_{- t *}](p) \] und wir können unser Ergebnis von oben übertragen: \[ [\phi_{t}^{*} v]^{\mu}(p) = v^{\mu}(q) - t \, v(q) \, u^{\mu} + \, ... \] Nun kommt der zweite Schritt: Die beiden Terme rechts müssen in eine Taylorreihe im Parameter \(t\) um den Punkt \(p\) entwickelt werden, wobei wir insgesamt nur Terme bis zur ersten Ordnung in \(t\) behalten.
Zum ersten Term: \[ v^{\mu}(q) = v^{\mu}(\phi_{t}(p)) = \] \[ = v^{\mu}(\phi_{0}(p)) + t \, \frac{d}{dt} v^{\mu}(\phi_{t}(p)) \bigg|_{t = 0} + \, ... \, = \] \[ = v^{\mu}(p) + t \, u(p) \, v^{\mu} + \, ... \] Zum zweiten Term: \[ t \, v(q) \, u^{\mu} = t \, v(\phi_{t}(p)) \, u^{\mu} = \] \[ = t \, v(p) \, u^{\mu} + \, ... \] Wir setzen alles ein und erhalten: \[ [\phi_{t}^{*} v]^{\mu}(p) = \] \[ = v^{\mu}(q) - t \, v(q) \, u^{\mu} + \, ... \, = \] \[ = v^{\mu}(p) + t \, u(p) \, v^{\mu} - t \, v(p) \, u^{\mu} + \, ... \, = \] \[ = v^{\mu}(p) + t \, [u, v]^{\mu}(p) + \, ... \] mit der Lie-Klammer \( [u, v](p) \) aus Kapitel 7: Torsion.
Fassen wir die Komponenten wieder zu Vektoren zusammen, so haben wir also für kleine \(t\): \[ [\phi_{t}^{*} v](p) = v(p) + t \, [u, v](p) + \, ... \] Das reicht aus, um die Lie-Ableitung auszurechnen, die ja die Ableitung in \(t\) bei \(t = 0\) von dem obigen Ausdruck ist:
Lie-Ableitung und Lie-Klammer: \[ [L_{u} v](p) = \frac{d}{dt} [\phi_{t}^{*} v](p) \bigg|_{t = 0} = [u, v](p) \] mit der Lie-Klammer \[ [u, v](p) = \sum_{\mu} \, \left( u(p) \, v^{\mu} - v(p) \, u^{\mu} \right) \, \frac{\partial}{\partial x^\mu}\bigg|_{p} \] d.h. \[ [u, v](p) \, \varphi = u(p) \, (v \, \varphi) - v(p) \, (u \, \varphi) \] Dabei ist \(\varphi\) eine skalare Funktion und \( (v \, \varphi)(p) := v(p) \varphi \) ist ebenfalls eine skalare Funktion (analog auch \( (u \, \varphi) \) ). |
Wichtig ist dabei, dass neben Ableitungen von v auch Ableitungen von u hier vorkommen!
Das ist ein zentraler Unterschied zur kovarianten Ableitung, bei der das nicht so ist!
Es wird also in der Lie-Ableitung nicht nur das Änderungsverhalten von \(v\) erfasst, sondern es spielt auch das Änderungsverhalten von \(u\) eine Rolle. Warum ist das so?
Bei der Lie-Ableitung wird der Fluss dazu verwendet, um Tangentialvektoren an verschiedenen Punkten miteinander vergleichen zu können. Das Vektorfeld, das durch den Fluss aus einem Vektor entsteht, dient als Referenz-Vektorfeld, um die Änderung des Vektorfeldes \(v\) anzugeben. So ist die Lie-Ableitung gleich Null, wenn die Werte von \(v\) an verschiedenen Punkten durch den Fluss ineinander übergehen, d.h. wenn \(v\) ein durch den Fluss erzeugtes Vektorfeld ist. Analog dient bei der kovarianten Ableitung das entlang einer Kurve paralleltransportierte Vektorfeld als Referenzvektorfeld.
Schauen wir uns an, was beim Weiterfließen (beim Push-Forward) eines Vektors geschieht (siehe dazu auch das Bild weiter oben, das den Push-Forward eines Tangentialvektors darstellt). Dazu stellen wir uns den Vektor (bzw. die zugehörige Kurve) wie mit Tinte als winzigen Pfeil in ein zähfließendes Gel hineingeschrieben vor. Betrachten wir, wie dieser Vektor ein kleines Stück weiterfließt: Sein Fußpunkt (d.h. der Punkt \(\gamma(0)\) ) und seine Spitze (d.h. ein Punkt \( \gamma(\epsilon) \) mit kleinem \(\epsilon\) ) bewegen sich mit dem Fluss mit, wobei sich beide Punkte etwas unterschiedlich bewegen können, denn der Fluss kann beim Fußpunkt etwas anders sein als bei der Spitze.
Nun wird der Fluss im Fußpunkt \(\gamma(0)\) durch den generierenden Vektor \(u(\gamma(0))\) an dieser Stelle bestimmt. Analog bestimmt \(u(\gamma(\epsilon))\) den Fluss der Spitze.
Um also das Mitfließen des Vektors anzugeben, muss man \(u\) an zwei eng benachbarten Punkten kennen, was in der infinitesimalen Version bedeutet, dass man die Veränderung von \(u\) in \(p = \gamma(0)\) kennen muss. Damit ist anschaulich klar, warum die Ableitung von \(u\) (also die lokale Veränderung im Fluss) für die Lie-Ableitung von Vektorfeldern wichtig ist.
Und damit ist auch klar, warum wir \( [L_{u} v](p) \) statt \( L_{u(p)} v \) schreiben: es geht eben nicht nur der Wert von \(u(p)\) ein, sondern es geht das Vektorfeld \(u\) in einer Umgebung von \(p\) ein (anders als bei der kovarianten Ableitung, bei der wir \( D_{u(p)} v \) schreiben durften).
Man sieht übrigens auch in der Rechnung oben, an welcher Stelle die Ableitung von \(u\) ins Spiel kommt: \[ [\phi_{t}^{*} v]^{\mu}(p) = v^{\mu}(q) - t \, v(q) \, u^{\mu} + \, ... \] Beim Mitfließen von \(v\) (also beim Push-Forward bzw. hier beim Pull-Back \( \phi_{t}^{*} v \) ) ist die Veränderung von \(u\) in \(v(p)\)-Richtung wichtig, also der Unterschied des Flusses am Fußpunkt \(p\) von \(v(p)\) und an der Spitze (die gleichsam infinitesimal neben \(p\) in \(v(p)\)-Richtung liegt).
Aus \[ [L_{u} v](p) = [u, v](p) = \] \[ = - [v, u](p) = - [L_{v} u](p) \] folgt eine gewisse Gleichberechtigung von \(u\) und \(v\). Wir können wahlweise den durch \(u\) oder den durch \(v\) erzeugten Fluss betrachten und die Veränderung des jeweis anderen Vektors im Vergleich zum mitfließenden Vektor mit der Lie-Ableitung bestimmen. Falls die Lie-Ableitung in einem Gebiet gleich Null ist (d.h. \( [u, v](p) = 0 \) in diesem Gebiet), so vertauschen die beiden Flüsse dort miteinander, wie man zeigen kann (was wir hier überspringen). Es ist dann egal, mit welchem der beiden Flüsse man sich zuerst weitertragen lässt – der Zielpunkt ist derselbe.
Wir hatten in Kapitel 6: Kovariante Ableitung und Paralleltransport bereits die kovariante Ableitung eines Vektorfeldes kennengelernt. Die beiden Definitionen für Lie-Ableitung und kovariante Ableitung sehen sehr ähnlich aus:
Lie-Ableitung: \[ [L_{u} v](p) := \] \[ = \lim_{t \rightarrow 0} \, \frac{1}{t} \, \left\{ [\phi_{t}^{*} v](p) - v(p) \right\} = \] \[ = \frac{d}{dt} [\phi_{t}^{*} v](p) \bigg|_{t = 0} \] kovariante Ableitung: \[ D_{u(p)} v = \] \[ = \lim_{t \rightarrow 0} \, \frac{1}{t} \, \left\{ [T(\gamma)_{- t} v](p) - v(p) \right\} = \] \[ = \frac{d}{dt} [T(\gamma)_{- t} v](p) \bigg|_{t = 0} \] wobei \(u(p)\) der zur Kurve \(\gamma(t)\) gehörende Tangentialvektor in \(t = 0\) ist, und \( T(\gamma)_{- t} v(\gamma(t)) = [T(\gamma)_{- t} v](p) \) mit \(p = \gamma(0)\) verwendet wurde.
Der Rückwärts-Paralleltransport entspricht also dem Pull-Back.
Was ist der Unterschied zwischen kovarianter und Lie-Ableitung? Schauen wir uns dazu einfach noch einmal die Formeln in Koordinatendarstellung an:
kovariante Ableitung: \[ D_{u(p)} v = \sum_{\rho} \, \bigg( u(p) \, v^{\rho} + \] \[ + \sum_{\mu\nu} \, v^{\mu}(p) \, \Gamma^{ \rho}_{\nu\mu} \, u^{\nu}(p) \bigg) \, \frac{\partial}{\partial x^{\rho}} \bigg|_{p} \] Lie-Ableitung: \[ [L_{u} v](p) = \sum_{\rho} \, \big( u(p) \, v^{\rho} + \] \[ - v(p) \, u^{\rho} \big) \, \frac{\partial}{\partial x^{\rho}} \bigg|_{p} \] Wir sehen also: An die Stelle von \[ \sum_{\mu\nu} \, v^{\mu}(p) \, \Gamma^{ \rho}_{\nu\mu} \, u^{\nu}(p) = \] \[ = \sum_{\mu} \, v^{\mu}(p) \, \left[ D_{u(p)} \frac{\partial}{\partial x^\mu}\bigg|_{p} \right]^{\rho} \] tritt bei der Lie-Ableitung der Term \[ - v(p) u^{\rho} = \] \[ = - \sum_{\mu} v^{\mu}(p) \, \frac{\partial u^{\rho}}{\partial x^{\mu}} \] Der Unterschied ist also:
An der Stelle, wo in der kovarianten Ableitung die Veränderung
der Basisvektoren in \(u(p)\)-Richtung (Kurvenrichtung)
\[
\left[ D_{u(p)} \frac{\partial}{\partial x^\mu}\bigg|_{p} \right]^{\rho} =
\sum_{\nu} \,
\Gamma^{\rho}_{\nu\mu}
\, u^{\nu}(p)
\]
eingeht, steht in der Lie-Ableitung die Veränderung des Fluss-erzeugenden \(u\)-Vektorfeldes
\[
- \frac{\partial u^{\rho}}{\partial x^{\mu}}
\]
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Das macht uns den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Ableitungen klar:
Bei der kovarianten Ableitung muss man die Veränderung der Basisvektoren vorgeben (bzw. anhand einer Einbettung oder einer Metrik festlegen), um benachbarte Tangentialvektoren miteinander vergleichen zu können.
Bei der Lie-Ableitung gibt man dagegen die Veränderung des Fluss-generierenden Vektorfeldes \(u\) vor (indem man gleich das generierende Vektorfeld \(u\) vorgibt), um benachbarte Tangentialvektoren miteinander vergleichen zu können.
Bei der kovarianten Ableitung erhält man das Referenz-Vektorfeld für die Ableitung durch Parallelverschiebung, bei der Lie-Ableitung dagegen durch den Fluss (bzw. den Push-Forward oder Pull-Back dazu). Die Ableitung des Referenz-Vektorfeldes selbst ist dabei gleich Null (man misst ja die Veränderung gegenüber dem Referenz-Vektorfeld). Ohne ein solches Referenz-Vektorfeld kommt man nicht aus, denn man kann ansonsten direkt benachbarte Tangentialvektoren nicht miteinander vergleichen.
Schauen wir uns noch einmal die Eigenschaften von kovarianter Ableitung und Lie-Ableitung an:
Das bedeutet, dass für zwei skalare Funktionen \(\varphi\) und \(\chi\) sowie ein weiteres Tangentialvektorfeld \(w\) gilt: \[ D_{(\varphi(p) \, u(p) + \chi(p) \, w(p))} v = \] \[ = \varphi(p) \, D_{u(p)} v + \chi(p) \, D_{w(p)} v \] Genau dies ist bei der Lie-Ableitung nicht der Fall! Es gilt zwar \[ L_{u + w} v = L_{u} v + L_{w} v \] aber es gilt nicht \( L_{\varphi \, u} v = \varphi \, L_{u} v \). Stattdessen gilt \[ [L_{\varphi u} v](p) = \] \[ = \sum_{\rho} \, \big( \varphi(p) \, u(p) \, v^{\rho} + \] \[ - v(p) \, (\varphi \, u^{\rho}) \big) \, \frac{\partial}{\partial x^{\rho}} \bigg|_{p} = \] \[ = \sum_{\rho} \, \big( \varphi(p) \, u(p) \, v^{\rho} + \] \[ - (v(p) \, \varphi) \, u^{\rho}(p) - \varphi(p) \, v(p) \, u^{\rho} \big) \, \frac{\partial}{\partial x^{\rho}} \bigg|_{p} = \] \[ = \varphi(p) \, [L_{u} v](p) - (v(p) \, \varphi) u(p) \] oder in Kurzform \[ L_{\varphi u} v = \varphi \, L_{u} v - (v \, \varphi) \, u \] Wie man sieht, taucht im Vergleich zur kovarianten Ableitung bei der Lie-Ableitung der Zusatzterm \( - (v \, \varphi) \, u \) auf. Wir werden gleich sehen, dass dies einfach die Produktregel darstellt.
Das bedeutet:
\[
D_{u(p)} (v + w) =
D_{u(p)} v + D_{u(p)} w
\]
\[
L_{u} (v + w) =
L_{u} v + L_{u} w
\]
Das bedeutet: \[ D_{u(p)} (\varphi \, v) = \] \[ = \varphi(p) \, D_{u(p)} v + (D_{u(p)} \varphi) \, v(p) \] \[ [L_{u} (\varphi \, v)](p) = \] \[ = \varphi(p) \, [L_{u} v](p) + [L_{u} \varphi](p) \, v(p) \] wobei \( D_{u(p)} \varphi \) sowie \( [L_{u} \varphi](p) \) die normalen Richtungsableitung von \(\varphi\) in \(u(p)\)-Richtung sind, also \( D_{u(p)} \varphi = [L_{u} \varphi](p) = u(p) \, \varphi \).
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Bei der kovarianten Ableitung waren wir von der Definition der Ableitung ausgegangen und
hatten darüber den Paralleltransport definiert.
Bei der Lie-Ableitung sind wir dagegen umgekehrt vorgegangen:
Wir sind vom Fluss ausgegangen und haben darüber die Lie-Ableitung definiert.
Manche Bücher machen das auch für die Lie-Ableitung umgekehrt: über \[ [L_{u} v](p) := [u, v](p) \] wird die Lie-Ableitung definiert, und erst anschließend konstruiert man den Fluss. Und auch bei der kovarianten Ableitung kann man umgekehrt vorgehen: Man definiert zunächst den Paralleltransport und darüber danach die kovariante Ableitung. Es wäre sicher interessant, beide Vorgehensweisen für kovariante Ableitung und Lie-Ableitung im Detail gegenüberzustellen und so beispielsweise die Eigenschaften von Paralleltransport und Fluss zu vergleichen. Da dies jedoch unseren Rahmen sprengen würde, wollen wir hier nicht näher darauf eingehen.
Die Definition der Lie-Ableitung für Tangentialvektoren \[ [L_{u} v](p) := \frac{d}{dt} [\phi_{t}^{*} v](p) \bigg|_{t = 0} \] kann man leicht auf andere Tensoren übertragen, da man den Pull-Back leicht für solche Tensoren definieren kann. Wir hatten dies oben bereits für skalare Funktionen und Co-Tangentialvektoren getan, siehe z.B. die Formel \[ [\phi_{t}^{*} \omega](p) \, v(p) := \omega(q) \, [\phi_{t*} v](q) \] mit der wir den Pull-Back für Co-Tangentialvektoren oben definiert hatten. Die Vorgehensweise ist vollkommen analog zur Vorgehensweise aus Kapitel 6: Kovariante Ableitung und Paralleltransport, bei der wir den Paralleltransport auf andere Tensoren übertragen hatten.
Gleichwertig dazu kann man die kovariante Ableitung bzw. die Lie-Ableitung auch mit Hilfe der Produktregel für andere Tensoren definieren. So ist die Definition der Lie-Ableitung für Co-Tangentialvektoren über \[ [L_{u} \omega](p) := \frac{d}{dt} [\phi_{t}^{*} \omega](p) \bigg|_{t = 0} \] gleichwertig zur Definition über \[ [L_{u} \, (\omega \, v)](p) =: \] \[ =: [L_{u} \, \omega](p) \, v(p) + \omega(p) \, [L_{u} v](p) \] Dabei ist \( (\omega \, v) \) als skalare Funktion zu sehen, d.h. \[ [L_{u} \, (\omega \, v)](p) = u(p) \, (\omega \, v) \] Der Beweis für die Gleichwertigkeit der beiden Definitionen läuft vollkommen analog zum Beweis bei der kovarianten Ableitung. Über die obige Formel können wir die Lie-Ableitung von \(\omega\) leicht ausrechnen, indem wir die Formel danach freistellen und \( L_{u} v = [u, v] \) sowie \( L_{u} \, (\omega \, v) = u \, (\omega \, v) \) einsetzen. Ergebnis:
Lie-Ableitung für Co-Tangentialvektoren: \[ [L_{u} \omega](p) \, v(p) = \] \[ = u(p) \, (\omega \, v) - \omega(p) \, [u, v](p) \] |
Auf diese Weise kann man sich auch zu weiteren Tensoren weiterhangeln.
Betrachten wir beispielsweise den metrischen Tensor \(g\),
der zwei Tangentialvektoren \(v(p)\) und \(w(p)\) auf die reelle Zahl \(g(p) (v(p), w(p))\)
abbildet (siehe Kapitel 9: Abstände und Winkel: die Metrik,
wobei wir hier die \(p\)-Abhängigkeit des Tensors
(gegeben durch die \(p\)-Abhängigkeit seiner Komponenten) explizit
mitschreiben – daher das \( (p) \) hinter dem \(g\) !
Die Produktregel ergibt hier (wieder analog zur Vorgehensweise bei der kovarianten Ableitung):
\[
u(p) \, g(v,w) =
\]
\[ =
[L_{u} \, g(v,w)](p)
=:
\]
\[
=:
[L_{u} g](p) (v(p), w(p))
+
\]
\[ +
g(p)( [L_{u} v](p) , w(p))
+
\]
\[ +
g(p)(v(p) , [L_{u} w](p) )
\]
Dabei ist wieder \(g(v,w)\) als skalare Funktion zu sehen.
Schreibt man diese Gleichung in Komponenten aus, so erhält man
\[
(L_{u} g)_{\nu\rho} =
u(p) \, g_{\nu\rho} +
\]
\[ +
\sum_{\mu} \, \left[
g_{\mu\rho} \frac{\partial u^{\mu}}{\partial x^{\nu}} +
g_{\nu\mu} \frac{\partial u^{\mu}}{\partial x^{\rho}} \right]
\]
(die Rechnung verläuft vollkommen analog zur Rechnung für die
Verträglichkeitsbedingung zwischen Metrik und affinem Zusammenhang in Kapitel 9).
Noch eine kleine Zusatzanmerkung:
Oben hatten wir explizit den Zusammenhang \[ [L_{u} v](p) = [u, v](p) \] abgeleitet. Wir können diesen Zusammenhang auch auf andere Weise erhalten: Durch Vorwärts-Hangeln mit Hilfe einer (neuen) Produktregel. Als Ausgangspunkt benötigen wir lediglich, dass für eine skalare Funktion \( \varphi \) die Lie-Ableitung gegeben ist durch \[ [L_{u} \varphi](p) = u(p) \, \varphi \] Nun ist nicht nur \(\varphi(p)\) eine skalare Funktion, sonder auch \( v(p) \, \varphi \) ist eine skalare Funktion (sie liefert die Richtungsableitung von \(\varphi\) im Punkt \(p\) in \(v(p)\)-Richtung – das ist eine reelle Zahl für jeden Punkt \(p\)). Wir schreiben \( (v \, \varphi)(p) := v(p) \, \varphi \) für diese skalare Funktion. Wenden wir die Lie-Ableitung darauf an und verwenden eine (neue) Produktregel, so folgt \[ u(p) \, (v \, \varphi) = [L_{u} \, (v \, \varphi)](p) = \] \[ = [L_{u} v](p) \, \varphi + v(p) \, [L_{u} \varphi] = \] \[ = [L_{u} v](p) \, \varphi + v(p) \, (u \, \varphi) \] Das können wir nach \( [L_{u} v](p) \, \varphi \) freistellen: \[ [L_{u} v](p) \, \varphi = \] \[ = u(p) \, (v \, \varphi) - v(p) \, (u \, \varphi) = \] \[ = [u, v](p) \, \varphi \] Eine Bemerkung dazu: die Rechnung funktioniert, wenn man immer darauf achtet, dass jeder Term eine skalare Funktion ist. Wir hatten ja \( (v \, \varphi) \) als skalare Funktion verstanden.
Weiter oben hatten wir eine andere Produktregel kennengelernt, wobei das umgedrehte \( (\varphi v) \) ein Tangentialvektorfeld ist, d.h. \( (\varphi \, v)(p) := \varphi(p) \, v(p) \). Dies ist ein wirkliches Produkt (denn rechts steht eine Zahl mal einem Tangentialvektor), während \( (v \, \varphi)(p) := v(p) \, \varphi \) kein Produkt ist, sondern die Anwendung der Abbildung \(v(p)\) auf \(\varphi\) darstellt.
Die zu \( (\varphi v)(p) \) gehörende (alte) Produktregel war \[ [L_{u} \, (\varphi \, v)](p) = \] \[ = \varphi(p) \, [L_{u} v](p) + [L_{u} \varphi](p) \, v(p) \] Hier ist jeder Term ein Tangentialvektor! Diese Produktregel lässt sich eins-zu-eins auch für die kovariante Ableitung formulieren (siehe oben). Die neue, von uns gerade verwendete Produktregel \[ [L_{u} \, (v \, \varphi)](p) = \] \[ = [L_{u} v](p) \, \varphi + v(p) \, [L_{u} \varphi] \] hat jedoch kein Analogon bei der kovarianten Ableitung, sondern im Grunde ist die Beziehung \( [L_{u} v](p) = [u, v](p) \) erst die Rechtfertigung für diese Produktregel. Da diese Produktregel für die kovariante Ableitung nicht gilt, ist auch \( D_{u(p)} v \) ungleich \( [u, v](p) \). Man sieht also, wie vorsichtig man mit solchen intuitiv scheinbar klaren Rechnungen sein muss!
Besonders interessant ist der Fall, bei dem für bestimmte Fluss-erzeugende Vektorfelder \(u\) die Lie-Ableitung des metrischen Tensors auf der Mannigfaltigkeit in jedem Punkt \(p\) verschwindet: \[ [L_{u} g](p) = 0 \] d.h. \[ (L_{u} g)_{\nu\rho}(p) = 0 \] Ein Fluss-generierendes Vektorfeld \(u\), das diese Bedingung erfüllt, heißt Killing-Vektorfeld (benannt nach Wilhelm Killing).
Setzen wir \( [L_{u} g](p) = 0 \) in unsere Formel für die Lie-Ableitung der Metrik von oben ein, so erhalten wir \[ u(p) \, g(v,w) = \] \[ = g(p)( [L_{u} v](p) , w(p)) + \] \[ + g(p)(v(p) , [L_{u} w](p) ) \] Diese Gleichung ist vollkommen analog zur Verträglichkeitsbedingung zwischen Metrik und affinem Zusammenhang (wenn man die Lie-Ableitung durch die kovariante Ableitung ersetzt, siehe Kapitel 9: Abstände und Winkel: die Metrik).
Und analog zu dort bedeutet die Gleichung, dass die Metrik zweier Tangentialvektoren beim Push-Forward oder Pull-Back (also beim Mitfließen durch den Fluss, der von \(u\) erzeugt wird) sich nicht ändert.
Der Grund ist: Für durch Push-Forward erzeugte Vektorfelder \(v\) und \(w\) ist \( [L_{u} v](p) = [L_{u} w](p) = 0 \), d.h. \( u(p) \, g(v,w) = 0 \) für alle \(p\) – die Richtungsableitung der Metrik in Flussrichtung ist für mitgeflossene Vektorfelder also überall gleich Null, d.h. die Metrik ändert sich beim Mitfließen nicht.
Der durch \(u\) erzeugte Fluss (bzw. sein Push-Forward oder Pull-Back) ist eine Isometrie auf der Mannigfaltigkeit! Darin drücken sich gewisse Symmetrien der Mannigfaltigkeit aus. Die Aufgabe lautet daher häufig, alle Killing-Vektorfelder und damit die zugehörigen Symmetrien einer Mannigfaltigkeit zu finden. Dazu muss man die Differentialgleichung \( [L_{u} g](p) = 0 \) bei gegebener Metrik \(g\) für das gesuchte \(u\) lösen; das ist in Komponenten die Gleichung \[ 0 = u(p) \, g_{\nu\rho} + \] \[ + \sum_{\mu} \, \left[ g_{\mu\rho} \frac{\partial u^{\mu}}{\partial x^{\nu}} + g_{\nu\mu} \frac{\partial u^{\mu}}{\partial x^{\rho}} \right] \] Bei einem Levi-Civita-Zusammenhang (d.h. die Torsion ist Null und die kovariante Ableitung erfüllt die Verträglichkeitsbedingung \( D_{u} g = 0 \) mit der Metrik, siehe Kapitel 9) kann man diese Gleichung noch etwas umschreiben. Die konkrete Rechnung ist weiter nicht schwierig – wir wollen sie hier weglassen und einfach nur das Ergebnis angeben (auch Killings Gleichung genannt): \[ (D_{\mu} u)_{\rho} + (D_{\rho} u)_{\mu} = 0 \] (Indexstellung beachten!). Dabei ist \[ D_{\mu} u = D_{\frac{\partial}{\partial x^\mu}} u \] und \( (D_{\mu} u)^{\rho} \) ist die \( \rho \)-te Komponente des Vektors \( D_{\mu} u \), wobei der Index \(\rho\) noch mit Hilfe der Metrik nach unten gezogen wird: \[ (D_{\mu} u)_{\rho} = \sum_{\sigma} \, g_{\rho\sigma} \, (D_{\mu} u)^{\sigma} \] Ein Killing-Vektorfeld gehört zu einer Symmetrie der Mannigfaltigkeit (genauer: zu einer Isometrie zwischen den Tangential-Vektorräumen). In der Physik gehört zu einer Symmetrie oft auch eine Erhaltungsgröße. Dazu muss man allerdings wissen, wie die Zeitentwicklung des betrachteten physikalischen Systems mathematisch beschrieben wird. Wie wir später noch sehen werden, wird in der allgemeinen Relativitätstheorie die Flugbahn eines Teilchens im Gravitationsfeld durch eine Geodäte beschrieben (wobei wir es mit einem Levi-Civita-Zusammenhang zu tun haben; also: Torsion null, Verträglichkeit mit der Metrik und Geodäte gleich geodätische Linie).
Gehen wir also von einer Geodäten \(\gamma\) aus. Den Tangentialvektor der Geodäten im Punkt \(\gamma(t)\) nennen wir \(v(\gamma(t))\). Aus Kapitel 6: Kovariante Ableitung und Paralleltransport wissen wir, dass für eine Geodäte \(\gamma\) die Gleichung \[ D_{v(\gamma(t))} v = 0 \] gilt (eine entsprechende Kurvenparametrisierung ohne Geradeaus-Beschleunigung vorausgesetzt). Nehmen wir nun ein Fluss-erzeugendes Killing-Vektorfeld \(u\) dazu und betrachten die aus dem Killing-Vektorfeld \(u\) und dem Geodäten-Tangentialvektorfeld \(v\) gebildete skalare Funktion \[ \psi(\gamma(t)) = g(\gamma(t)) ( u(\gamma(t)) , v(\gamma(t)) ) \] also die Metrik der Flussrichtung \(u\) und der Geodäten-Richtung \(v\) auf der Geodäten. Wie verändert sich diese Größe entlang der Geodäten? Rechnen wir es aus: \[ \frac{d}{dt'} \psi(\gamma(t')) \bigg|_{t' = t} = \] \[ = v(\gamma(t)) \, \psi = \] \[ = v(\gamma(t)) \, g(u,v) = \] ... wir verwenden die Verträglichkeitsbedingung zwischen Metrik und affinem Zusammenhang: \[ = g(\gamma(t)) \, \left( D_{v(\gamma(t))} u , v(\gamma(t)) \right) + \] \[ + g(\gamma(t)) \, \left( u(\gamma(t)) , D_{v(\gamma(t))} v \right) = \] ... der zweite Term verschwindet wegen der Geodätenbedingung \( D_{v(\gamma(t))} v = 0 \). Den ersten Term schreiben wir in Komponenten aus: \[ = \sum_{\mu\nu} \, v^{\nu} \, (D_{\nu} u)_{\mu} \, v^{\mu} = \] ... diesen Term können wir geeignet umschreiben und Killings Gleichung anwenden: \[ = \sum_{\mu\nu} \, v^{\nu} \, \frac{1}{2} \, \left[ (D_{\nu} u)_{\mu} + (D_{\mu} u)_{\nu} \right] \, v^{\mu} = 0 \] d.h. die skalare Größe \( \psi(\gamma(t)) = g(\gamma(t)) ( u(\gamma(t)) , v(\gamma(t)) ) \) (also die Metrik zwischen Killing-Fluss-Richtungsvektor und Geodäten-Tangentialvektor) ist entlang der Geodäten \(\gamma\) eine Erhaltungsgröße, ändert sich also entlang der Geodäten nicht.
Fassen wir zusammen:
Killing-Vektorfelder: Ein Killing-Vektorfeld \(u\) ist ein (Fluss-generierendes) Vektorfeld, bei dem die Lie-Ableitung des metrischen Tensors auf der Mannigfaltigkeit in jedem Punkt \(p\) verschwindet: \[ [L_{u} g](p) = 0 \] Diese Gleichung ist äquivalent zu \[ u(p) \, g(v,w) = \] \[ g(p)( [L_{u} v](p) , w(p)) + \] \[ + g(p)(v(p) , [L_{u} w](p) ) \] Das bedeutet, dass die Metrik zweier Tangentialvektoren beim Push-Forward oder Pull-Back (also beim Mitfließen durch den Fluss, der von \(u\) erzeugt wird) sich nicht ändert (d.h. anschaulich ändert sich bei einer positiv definiten Metrik z.B. der Winkel, unter dem sich zwei Kurven schneiden, durch das Mitfließen der Kurven nicht). Bei einem Levi-Civita-Zusammenhang (d.h. die Torsion ist Null und die kovariante Ableitung erfüllt die Verträglichkeitsbedingung \( D_{u} g = 0 \) mit der Metrik) sind die Killing-Vektorfelder \(u\) Lösungen der Killing-Gleichung \[ (D_{\mu} u)_{\rho} + (D_{\rho} u)_{\mu} = 0 \] und für eine Geodäte \(\gamma\) mit Tangentialvektoren \( v(\gamma(t)) \) ist die skalare Größe \[ \psi(\gamma(t)) = g(\gamma(t)) ( u(\gamma(t)) , v(\gamma(t)) ) \] (also die Metrik zwischen Killing-Fluss-Richtungsvektor und Geodäten-Tangentialvektor) entlang der Geodäten \(\gamma\) eine Erhaltungsgröße: \[ \frac{d}{dt'} \psi(\gamma(t')) \bigg|_{t' = t} = \] \[ = v(\gamma(t)) \, \psi = v(\gamma(t)) \, g(u,v) = 0 \] Anschaulich (bei einer positiv definiten Metrik) schneiden sich also Killing-Flusslinien und Geodäte überall mit demselben Winkel.
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Wiederholen wir kurz eine kleine Rechnung von oben:
Für den Fluss \(\phi_{t}\) mit generierendem Vektorfeld \(u\) gilt \[ u(p) \, \varphi = \frac{d}{dt} \varphi( \phi_{t}(p) ) \bigg|_{t = 0} \] Setzen wir hier für die skalare Funktion \(\varphi\) die Koordinatenfunktion \(f^{\mu}\) ein, so erhält man \[ u(p) \, f^{\mu} = \] \[ = \frac{d}{dt} f^{ \mu}( \phi_{t}(p) ) \bigg|_{t = 0} = \] \[ = \frac{d}{dt} f^{ \mu}( \rho_{p}(t) ) \bigg|_{t = 0} = \] \[ = u^{\mu}(p) \] (denn \(u(p)\) ist Tangentialvektor zur Kurve \(\rho_{p}(t)\) in \(t = 0\)). Es ist also \[ \frac{d}{dt} f^{\mu}(\phi_{t}(p) ) \bigg|_{t = 0} = u^{\mu}(p) \] oder in Physikerschreibweise \[ \frac{d}{dt} x^{\mu} = u^{\mu} \] Dabei sind \(x^{\mu}\) die Koordinaten der Flusslinie am betrachteten Punkt.
In der Hamiltonschen Formulierung der klassischen Mechanik hatten wir in Kapitel 9: Abstände und Winkel: die Metrik die Gleichung \[ \frac{d}{dt} x^{\mu}(t) = v_{H}^{\mu} \] hergeleitet, die die Bewegung eines klassischen mechanischen Systems als Kurve im 2n-dimensionalen Phasenraum beschreibt, und die genau die Form der obigen Gleichung \( \frac{d}{dt} x^{\mu} = u^{\mu} \) hat. Zur Erinnerung: Der Koordinatenvektor \(x\) eines Punktes im Phasenraum fasst Ortskoordinaten \(q^{i}\) und Impulskoordinaten \(p_{i}\) wie folgt zusammen: \[ x = (x^{\mu}) = \begin{pmatrix} x^1 \\ ... \\ x^{2n} \\ \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} q^1 \\ ... \\ q^n \\ p_1 \\ ... \\ p_n \end{pmatrix} =: \begin{pmatrix} q \\ p \end{pmatrix} \] Der griechische Index \(\mu\) läuft bis \(2n\) und wird wie bisher bei Koordinaten oben geschrieben. Bei den Impulsen schreiben wir den lateinischen Index \(i\) (der von \(1\) bis \(n\) läuft) jedoch unten.
Wir können uns also vorstellen, dass die Bewegung eines klassischen mechanischen Systems im Phasenraum durch einen Fluss mit generierendem Vektorfeld \( v_{H} \) hervorgerufen wird. Die Bewegungskurve ist dabei eine Flusslinie, und umgekehrt liefert jede Flusslinie eine mögliche Bewegungskurve (je nach Anfangsbedingungen).
Das generierende Vektorfeld \(v_{H}\) hatten wir dabei als Hamiltonsches Vektorfeld bezeichnet. Man erhält das Hamiltonsche Vektorfeld aus der skalaren Hamiltonfunktion \(H\) mit Hilfe der symplektischen 2-Form \[ \omega := \sum_{i = 1}^{n} \, dq^{i} \wedge dp_{i} \] indem man \[ dH \, w =: \omega( v_{H}, w ) \] für beliebige Tangentialvektoren \(w\) fordert. In Koordinaten ergibt das \[ v_{H}^{i} = \frac{\partial H}{\partial p_{i}} \] \[ v_{H}^{i + n} = - \frac{\partial H}{\partial q^{i}} \] Man kann nun mit Hilfe einer kleinen Rechnung (die wir hier überspringen) zeigen, dass \[ [L_{v_{H}} \omega](p) = 0 \] gilt. Dabei spielt \(\omega\) die analoge Rolle zur Metrik \(g\) von oben, nur dass \(\omega\) antisymmetrisch ist ( \(g\) war ja symmetrisch). Analog zur Metrik folgt damit, dass sich die \(\omega\)-Form \( \omega(a, b) \) zweier Tangentialvektoren \(a\) und \(b\) beim Push-Forward oder Pull-Back (also beim Mitfließen durch den Hamiltonschen Fluss, der von \(v_{H}\) erzeugt wird) sich nicht ändert.
Weiterhin kann man zeigen, dass auch für die Volumenform \[ V = dx^{1} \wedge \, ... \, \wedge dx^{2n} \] (siehe nächstes Kapitel) gilt: \[ [L_{v_{H}} V](p) = 0 \] Man kann daraus ableiten (wie, darauf gehen wir hier nicht ein), dass sich ein Phasenraumvolumen beim Mitfließen mit der Hamiltonschen Strömung nicht ändert. Das ist der bekannte Satz von Liouville.
Literatur:
© Jörg Resag, www.joerg-resag.de
last modified on 01 October 2023