Das bedeutet:
wenn eine p-Form
auf einem sternförmigen Gebiet die
Integrabilitätsbedingung
erfüllt, so besitzt sie dort eine Stammform (ein Potential)
mit
Umgekehrt gilt auf jedem Gebiet:
Ist eine p-Form exakt, so ist sie auch geschlossen, denn
die zweifache Anwendung des d-Operators ergibt wegen der Symmetrie
der zweiten Ableitungen und der Antisymmetrie der Formen immer Null.
Notieren wir also in Kurzform:
Lemma von Poincaré:
G sternförmiges Gebiet und
es gibt Stammform mit
Immer gilt:
Besitzt nun jede geschlossene Form (d.h. )
eine Stammform? Zumindest steht im Lemma von Poincaré eine Zusatzbedingung:
das betrachtete Gebiet muss sternförmig sein.
Im wesentlichen bedeutet das, dass keine Löcher enthalten darf.
Schauen wir uns dazu ein Gegenbeispiel an, bei dem nicht sternförmig ist:
Beispiel mit Loch: das Magnetfeld eines stromführenden Leiters
In der Elektrodynamik kennt man das Magnetfeld eines geraden
unendlich langen Leiters, den wir uns als unendlich dünnen Draht in z-Richtung vorstellen.
Das Magnetfeld umschließt diesen Leiter ringförmig, wobei die Feldlinien
senkrecht zur z-Achse stehen.
Die entsprechende Formel erhält man aus der statischen Maxwellgleichung
indem man eine kreisförmige Fläche senkrecht zur z-Achse betrachtet
und den Integralsatz von Stokes in ebenen Polarkoordinaten
auswertet:
Das Magnetfeld läuft ringförmig um einen Strom, der entlang der z-Achse
verläuft (blauer Pfeil). Die Richtung von entspricht der Richtung des Einheitsvektors
in -Richtung, und der Betrag von nimmt antiproportional mit dem Abstand
von der z-Achse ab (siehe weiter unten).
Betrachtet man eine Kreisscheibe mit Radius , so kann man das Magnetfeld auf dem Rand
der Kreisscheibe mit Hilfe
des Integralsatzes von Stokes leicht berechnen.
Wir stellen uns nun vor, dass der Leiter unendlich dünn wird, also gleichsam
mit der z-Achse verschmilzt,
und betrachten das Magnetfeld außerhalb der z-Achse, d.h. die Kreisscheibe soll einen
Radius ungleich Null haben.
Das Integral
auf der rechten Seite ist dann gleich dem Gesamtstrom durch den Leiter (Vorfaktoren ignorieren wir).
Setzt man rechts den Ansatz
ein mit
so erhält man
oder nach freigestellt
mit und dem Abstand von der z-Achse.
Da die gesamte Anordnung nicht von z abhängt, genügt es, sich eine
Ebene senkrecht zur z-Achse herauszusuchen, so wie dies die Kreißcheibe im obigen
Bild andeutet. Im Ursprung liegen dann
(unendlich dicht zusammengedrängt) die Durchstoßpunkte der 2-Form , die den Stromfluss
repräsentiert, und gegen den Uhrzeigersinn verlaufen kreisförmig die
Feldlinien von .
Die entsprechende 1-Form lautet:
Sie ist nur außerhalb des Ursprungs definiert, also in .
Unser betrachtetes Gebiet hat also im Ursprung ein Loch!
Überall in diesem Gebiet (ohne den Ursprungspunkt ) gilt nun die Gleichung
d.h. ist geschlossen.
Das muss auch so sein, denn wir waren ja von der Gleichung
ausgegangen und hatten dann die Stromflussdichte auf einen unendlich dünnen
Bereich um die z-Achse herum beschränkt, so dass überall
außerhalb der z-Achse
erfüllt ist.
Und jetzt sind wir zur entscheidenden Frage vorgestoßen:
Hat die 1-Form eine Stammform?
Wir suchen also eine 0-Form (eine Funktion) , so dass
ist, oder anders ausgedrückt:
Vorsicht! Hier darf man sich nicht verwirren lassen.
Wir suchen hier keine Stammform zur 2-Form
Eine solche Stammform existiert nämlich wegen
immer! Man nennt diese Stammform oft
und bezeichnet als Vektorpotential von
(nicht mit dem Flächenelement verwechseln!).
Das ist hier also nicht gesucht!
Wir suchen vielmehr eine Stammform zur 1-Form
die (zur Unterscheidung von der 2-Form) auch oft mit bezeichnet wird.
Eine solche Stammform (Stammfunktion) der 1-Form ist scheinbar nicht schwierig zu finden:
sie lautet
mit einer geeigneten Konstante .
Die Funktion verläuft also wie eine Wendeltreppe, die gegen den Uhrzeigersinn
mit wachsendem Winkel ansteigt.
Ihr Anstieg verläuft daher kreisförmig entlang der Feldlinien von .
In drei Dimensionen haben wir das entsprechende Bild im letzten Kapitel bereits gesehen;
wir zeigen es hier erneut (siehe das Bild rechts):
Links:
Die Punkte (grün) der Ladungs-3-Form
erzeugen die Linien (rot) der elektrischen Flussform
,
siehe vorheriges Kapitel.
Rechts:
Die Linien (rot) der Strom-2-Form
erzeugen Flächen (blau) der magnetischen 1-Form
, d.h. es ist
also
Die blauen 2-Flächen, die die 1-Form B im rechten Bild darstellen, entsprechen
den Flächen mit konstanten , und die roten Entstehungskanten dieser Flächen
entsprechen der 1-Flussform .
Da wir in unserem Beispiel
alle Entstehungskanten in der z-Achse
zusammengeschoben haben, gilt außerhalb der z-Achse .
In unserer zweidimensionalen x-y-Schnittfläche senkrecht zur z-Achse werden aus den Entstehungskanten
die Durchtoßpunkte von im Ursprung, und aus den Flächen von werden die
radial verlaufenden Schnittlinien
dieser Flächen mit unserer zweidimensionalen x-y-Ebene. Diese Schnittlinien stellen in der x-y-Ebene
die 1-Form dar. Gleichzeitig sind die Schnittlinien die Äquipotentiallinien von , also
gleichsam die Treppenstufen der Wendeltreppe, wie das folgende Bild darstellt:
Es gibt allerdings ein Problem: Was geschieht nach einem Umlauf?
Es entsteht ein Sprung in der Funktion , denn die Wendeltreppe befindet sich ja nun
eine Etage höher! Und das bedeutet: es gibt eben keine in ganz
definierte Stammform von !
Die Ursache für das Fehlen einer Stammform ist das Loch im Ursprung.
Hier konnten wir die Stromquelle für unser Magnetfeld verstecken!
Topologie und die de Rham'sche Kohomologiegruppe
Halten wir also fest: Bei nicht-sternförmigen Gebieten (z.B. bei vorhandenen Löchern)
gilt das Lemma von Poincaré nicht! Wählen wir dagegen ein Teilgebiet des ,
das den Ursprung nicht enthält oder umschließt,
so gilt das Lemma von Poincaré wieder, denn dann ist
eine in diesem Teilgebiet wohldefinierte
Funktion.
Das ist interessant: offenbar können uns Differentialformen etwas
über die großräumige Struktur (die Topologie) einer Mannigfaltigkeit sagen!
Schauen wir uns diesen Zusamenhang etwas genauer an:
Wir haben gerade gesehen, dass uns insbesondere geschlossenen p-Formen (also )
etwas über die Topologie der Mannigfaltigkeit verraten können.
Die Eigenschaft, dass sie keine Stammform besitzen, zeigt die Existenz von Löchern
in der Mannigfaltigkeit an.
Die Menge der geschlossenen p-Formen
der Mannigfaltigkeit wollen wir im Folgenden
mit
bezeichnen
(nicht mit dem Winkel von oben verwechseln!).
Die geschlossenen p-Formen können wir nun in verschiedene Untergruppen (Teilmengen)
aufteilen. Die Idee dabei ist folgende:
Wir interessieren uns für Integrale
geschlossener p-Formen über den Rand eines Gebietes
(das aber ein Loch enthalten darf; korrekter wäre es daher, statt vom Rand
besser von einer geschlossenen Kette (closed chain) zu sprechen;
wichtig ist dabei die Eigenschaft, dass diese Kette keinen Rand besitzt, d.h.
).
Wenn nun das Gebiet G kein Loch enthält, d.h. wenn eine berandete
Mannigfaltigkeit im Sinne des Integralsatzes von Stokes ist, so gilt
nach diesem Integralsatz:
Das bedeutet umgekehrt: Wenn
ist
(und natürlich ), so kann nicht der Rand einer Mannigfaltigkeit
(eines Gebietes)
im Sinne des Integralsatzes von Stokes sein, d.h. enthält beispielsweise ein Loch.
Nun gibt es aber geschlossene p-Formen, bei denen das obige Integral immer gleich Null ist:
die exakten p-Formen, also diejenigen Formen mit einer zugehörigen Stammform , so dass
gilt. In diesem Fall ist nämlich
da als geschlossene Kette oder als Rand eines Gebietes selbst keinen Rand hat.
Beispielsweise ist das Integral einer exakten 1-Form über einen geschlossenen Weg
Null, da Anfangs- und Endpunkt des Weges identisch sind (anders gesagt: der geschlossene Weg hat keinen Rand,
also keine verschiedenen Anfangs- und Endpunkte).
Daher kann man zu jeder geschlossenen p-Form eine exakte p-Form
hinzuaddieren, ohne dass sich der Wert von ändert:
Man kann daher auch sagen:
Alle geschlossenen p-Formen , die sich nur um eine exakte p-Form
unterscheiden, ergeben dasselbe Integral über eine geschlossene Kette
(z.B. einen geschlossenen Weg oder über den Rand eines Gebietes) und enthalten
daher dieselbe Information über die topologische Struktur (z.B. Löcher)
innerhalb dieser Kette. Exakte p-Formen enthalten keine
topologische Information. Das passt zu unserer Beobachtung oben, dass
die Nichtexistenz einer Stammform (also die Nicht-Exaktheit der p-Form)
auf Löcher in der Mannigfaltigkeit hinweist.
Es ist daher naheliegend, alle geschlossenen p-Formen jeweils zu einer Gruppe (Äquivalenzklasse)
zusammenzufassen, wenn sie sich nur um eine exakte p-Form unterscheiden.
Halten wir fest:
de Rham'sche Kohomologiegruppe:
In einer Äquivalenzklassen fassen wir jeweils alle diejenigen
geschlossenen p-Formen
zusammenzufassen, die sich nur um eine exakte p-Form unterscheiden.
Dabei ist ein beliebiges Element der Äquivalenzklasse, das wir
als Repräsentanten der Klasse auswählen.
Formal ist also
(zur Erinnerung: waren die geschlossenen p-Formen auf ,
d.h. ).
Die Menge all dieser Äquivalenzklassen mit festem p bezeichnen wir mit
Diese Menge trägt den Namen p-te de Rham'sche Kohomologiegruppe, wobei sich der
Gruppenbegriff auf die Addition von p-Formen bezieht.
Mathematiker verwenden für diese Mengenbildung aus Äquivalenzklassen auch gerne
den Begriff Quotientenraum und schreiben
Dabei ist die Menge der exakten p-Formen auf M,
also diejenigen Formen mit einer Stammform, wobei wir für den Fall p = 0
die Festlegung
verwenden
(dabei ist die Nullfunktion, die überall den Wert Null hat).
Die Menge
im formalen Nenner enthält also gleichsam die
unwichtige Information, die man gerne aus der Menge herausdividieren möchte, indem man die Elemente mit derselben wichtigen Information
zu Äquivalenzklassen zusammenfasst (die Elemente innerhalb einer Äquivalenzklasse
unterscheiden sich dann nur noch durch die unwichtige Information).
Die Elemente von sind also Gruppen von geschlossenen 1-Formen,
die pro Gruppe dieselbe topologische Information tragen. Das Integral
hat für alle einer bestimmten Äquivalenzklasse denselben Wert, ist also
letztlich eine Funktion der Äquivalenzklasse und nicht der einzelnen .
Bildung der de Rham'sche Kohomologiegruppe:
Die geschlossenen p-Formen der Mannigfaltigkeit (die also d-Ableitung Null haben)
teilen wir in einzelne Äquivalenzklassen auf.
Zur Äquivalenzklasse gehören alle exakten p-Formen, also alle diejenigen, die
sich als d-Ableitung einer Stammform schreiben lassen (oberstes rotes Kästchen).
Jede andere Äquivalenzklasse umfasst nun jeweils eine Gruppe von p-Formen, die sich
nur um irgendeine exakte p-Form unterscheiden.
Die p-Formen in einer Äquivalenzklasse lassen sich also als Summe eines nicht-exakten
Repräsentanten (große Kugeln) und einer exakten p-Form (kleine Kugeln) schreiben.
Wir haben diese Summe hier durch eine Art Molekül dargestellt.
Die Menge aller Äquivalenzklassen formt die Menge .
Beispiele für de Rham'sche Kohomologiegruppen
Man bezeichnet das Studium von Mannigfaltigkeiten mittels Kohomologiegruppen als
algebraische Topologie, da algebraische bzw. analytische Werkzeuge wie Differentialformen
für topologische Untersuchungen eingesetzt werden. Schauen wir uns beispielhaft an, welche
topologischen Informationen in den Kohomologiegruppen stecken:
Betrachten wir unser Beispiel von oben: die zweidimensionale reelle Ebene ohne
den Nullpunkt
Beginnen wir mit den geschlossenen Null-Formen, also den skalaren Funktionen mit .
Hier entfällt die Bildung von Äquivalenzklassen, da es keine (- 1)-Formen gibt
– entsprechend hatten wir oben
gesetzt.
Aus folgt, dass auf
konstant ist. Zu jeder reellen Zahl gibt es eine solche konstante Funktion und umgekehrt.
Die Menge der geschlossenen Null-Formen entspricht also hier der Menge der reellen
Zahlen:
(das Zeichen bedeutet hier soviel wie ist isomorph zu,
lässt sich also eins-zu-eins aufeinander abbilden).
Daraus kann man die Anzahl der Zusammenhangskomponenten von
ablesen: sie ist gleich 1, da alle Punkte
über Wege miteinander verbunden werden können.
Bei Mannigfaltigkeiten mit k Zusammenhangskomponenten ist dagegen
da eine konstante Funktion durch k reelle Zahlen dargestellt werden muss (nämlich für jede
Zusammenhangskomponente durch die reelle Zahl, die den Funktionswert dort angibt).
Weiter geht es mit den geschlossenen 1-Formen auf .
Diese 1-Formen sehen (bis auf die unwichtige Addition einer exakten 1-Form )
wegen der Bedingung
alle wie unsere Magnetfeld-1-Form von oben aus:
Dabei entspricht bis auf einen Faktor dem senkrecht durch den Ursprung fließenden Strom ,
d.h. kann jede reelle Zahl annehmen (das Vorzeichen bestimmt dabei die Stromrichtung).
Zu jeder reellen Zahl gehört also eindeutig eine 1-Form-Äquivalenzklasse
mit dem obigen Repräsentanten und umgekehrt.
In diesem Sinne entspricht die Menge der geschlossenen 1-Form-Äquivalenzklassen
der Menge der reellen Zahlen und wir schreiben:
Man kann daraus die Zahl der null-dimensionalen Löcher
(also die Zahl der fehlenden Einzelpunkte) ablesen:
sie ist gleich 1 (enstprechend ).
Ohne das Loch im Ursprung wäre dagegen
Dabei ist die Äquivalentklasse der 1-Form , also die Klasse
der exakten 1-Formen. Der Grund dafür ist klar: Ohne ein Loch ist die Menge sternförmig, d.h. nach dem
Lemma von Poincaré ist jede geschlossene Form auch zugleich exakt und gehört
damit zu . Es besteht ohne Löcher einfach nicht die Möglichkeit, Ströme gleichsam in den
Löchern zu verstecken und so neue geschlossene 1-Formen zu erzeugen, die an den Löchern
auch Pole (Singularitäten) aufweisen dürfen.
So kann man verstehen, dass Löcher die Zahl der möglichen Differentialform-Sorten erhöhen
und dass umgekehrt die möglichen Differentialform-Sorten (genau das ist nämlich die
de Rham'sche Kohomologiegruppe) Auskunft über die vorhandenen Löcher geben.
Hier noch einmal das Lemma von Poincaré in der Sprache der Kohomologiegruppen:
Lemma von Poincaré:
weil genau eine Zusammenhangskomponente besitzt und man die konstanten Funktionen
daher durch eine einzige reelle Zahl (den Funktionswert) charakterisieren kann (siehe oben).
(mit ), weil sternförmig ist
und daher jede geschlossene p-Form eine Stammform besitzt,
d.h. jede geschlossene Form ist äquivalent zur Form .
Zurück zu unseren obigen Überlegungen mit Löchern:
Wie sieht der Fall mit mehreren Löchern aus?
Bei k verschiedenen Löchern hätte man für jedes Loch eine 1-Form
wie oben mit einem ringförmig um das Loch laufenden Magnetfeld. Jede dieser 1-Formen wäre durch eine
reelle Zahl (entsprechend dem durch das Loch fließenden Strom) gekennzeichnet.
Die allgemeine 1-Form wäre dann die Summe dieser 1-Formen, entsprechend der Superposition der
Magnetfelder, plus eine irrelevante exakte 1-Form . Diese allgemeine 1-Form wird durch die k reellen Zahlen
charakterisiert, die die Stromstärken in den k Löchern darstellen.
Daher schreiben wir analog zu oben:
Diese Überlegung kann man auf den n-dimensionalen Raum erweitern.
Es gilt:
Der Beweis dazu ist für keineswegs trivial, sondern er ist eine Konsequenz aus einem tiefer
liegenden Satz der Differentialtopologie, dem sogenannten Gradsatz von Hopf.
Ist nun die de Rham'sche Kohomologiegruppe etwas Exotisches oder etwas Zentrales im Bereich der Topologie?
Es stellt sich heraus, dass sie etwas Zentrales ist, denn man kann zeigen, dass
für eine kompakte Mannigfaltigkeit
(also gleichsam endliche Mannigfaltigkeit; diese Voraussetzung ist wichtig!) die
de Rham'sche Kohomologiegruppe mit anderen Kohomologiekonzepten übereinstimmt,
für die die Topologie-Experten eine Vielzahl anderer Berechnungsmethoden kennen
(siehe z.B. John Baez:
This Week's Finds in Mathematical Physics (Week 182)
June 19, 2002).
Wer sich also mit der Topologie von Räumen befasst, wird sich oft gerne der
de Rham'schen Kohomologiegruppe bedienen. Daher spielt sie auch in der mathematischen
Physik (besonders in der Stringtheorie) durchaus eine Rolle.
Der Satz von Hodge
Um mit Hilfe der de Rham'schen Kohomologiegruppe etwas über die Topologie der Mannigfaltigkeit
aussagen zu können, benötigt man allerdings einen Überblick über die Differentialformen,
die auf der Mannigfaltigkeit möglich sind, oder genauer:
einen Überblick über die verschiedenen Differentialform-Typen, die sich um mehr als
nur eine exakte Form unterscheiden. Mit anderen Worten:
man muss die de Rham'sche Kohomologiegruppe erst einmal haben!
Zum Glück kennt man eine Möglichkeit, wie man hier vorgehen kann:
Es gibt eine Differentialgleichung für p-Formen, deren Lösungen jeweils genau
die verschiedenen Differentialform-Typen darstellen.
Die Lösungen der Differentialgleichung ergeben jeweils genau
einen Repräsentanten pro Äquivalenzklasse.
Der Lösungsraum der Differentialgleichung ist also isomorph zur
de Rham'schen Kohomologiegruppe.
Das ist sehr gut, denn nun kann man das Arsenal der Differentialgleichungen
auf topologische Fragestellungen anwenden. Zwei Bereiche der Mathematik
(Analysis und Topologie) berühren und bereichern sich hier gegenseitig,
was zu vielen tieferen Einsichten führt.
Die gesuchte Differentialgleichung ist eine Verallgemeinerung der
sogenannten Laplace-Gleichung, wie man sie beispielsweise
für ein statisches elektrisches Potential kennt.
Hier ist diese bekannte Laplace-Gleichung (auch Potentialgleichung genannt):
Dabei ist der Laplace-Operator
definiert als
und ist eine skalare Funktion.
In der Elektrostatik ist beispielsweise
das Potential eines statischen elektrischen Feldes ,
also
(das sonst hier übliche Minuszeichen lassen wir aus Vereinfachungsgründen weg
– es entspricht nur einer Richtungskonvention für
das elektrische Feld),
so dass
ist. Die Laplacegleichung
ist also gleichbedeutend mit
d.h. ist ein statisches elektrisches Feld im ladungsfreien
Raum ist das elektrostatische Potential dazu.
Meist wird dieses dann durch irgendwelche Randwerte festgelegt, beispielsweise
durch vorgegebene Potentialwerte auf Kondensatorplatten.
Ein anderes Beispiel ist das Potential einer Punktladung,
die man im Ursprung versteckt. Man betrachtet dann die Potentialgleichung
in .
Insgesamt verhält sich aufgrund der Laplacegleichung
sehr ähnlich zu einer Seifenblasenhaut, die man
zwischen irgendwelchen Drähten einspannt (was die Randbedingungen ergibt).
Es dürfen nirgendwo Berge oder Mulden in vorhanden sein, da
dies Quellen des elektrischen Feldes und damit Ladungen entsprechen würde.
Wenn wir die Operatoren div und grad in die
Sprache der Differentialformen übersetzen
(siehe
Kapitel 12: Hodge-Sternoperator, Volumenform, Gradient, Divergenz, Rotation ),
so ist
Die zweite und vierte Zeile zeigt jeweils die Schreibweise, wie man sie
in der klassischen euklidischen dreidimensionalen Vektoranalysis kennt.
Wir können nun Gradient und Divergenz kombinieren:
Um die Volumenform noch zu entfernen, können wir noch einmal
den Sternoperator anwenden.
Wegen
(siehe
Kapitel 12: Hodge-Sternoperator, Volumenform, Gradient, Divergenz, Rotation,
ist die Zahl der negativen Eigenwerte der metrischen Matrix bzw.
das Vorzeichen der Determinante dieser Matrix) erhalten wir:
oder anders sortiert
Den Operator können wir nun nicht nur auf skalare
Funktionen anwenden, sondern auf beliebige p-Formen:
macht aus der p-Form eine (p + 1) -Form,
verwandelt sie in eine (n - p - 1) -Form,
das nächste macht daraus eine (n - p) -Form,
und darauf angewendet ergibt schließlich eine
p-Form.
Aus einer p-Form wird also durch
wieder eine p-Form.
Nur im Fall (dabei ist wie immer die Dimension der Manngfaltigkeit)
gibt es Schwierigkeiten, denn das erste
macht aus einer n-Form im n-dimensionalen Raum eine Null.
Man kann jedoch einen zu eng verwandten Operator konstruieren,
der die Lücke schließt, indem man einfach die Reihenfolge der Sternoperatoren und der d-Operatoren
vertauscht:
Aus einer n-Form wird dabei erst einmal eine 0-Form gemacht, mit der es dann
wie beim ursprünglichen Operator weitergeht (nur dass man auf letzten Stern verzichtet, so dass
es eine n-Form bleibt). Schreiben wir die n-Form als
mit einer skalaren Funktion , so ergibt sich
Allerdings hat der neue Operator ebenfalls eine Lücke,
nämlich bei den Null-Formen. Der Sternoperator verwandelt Null-Formen in n-Formen,
und der anschließende d-Operator macht aus ihnen wieder eine Null.
Wenn wir also eine Verallgemeinerung des Laplaceoperators von 0-Formen auf p-Formen suchen,
so bietet es sich an, beide Operatoren oben zu addieren,
wobei man noch eine bestimmte Vorzeichenkonvention trifft
(die sich allerdings offenbar von Text zu Text unterscheiden):
Hodge-Laplace-Operator für p-Formen:
Bei Null-Formen (Funktionen) fällt der zweite Operator weg und es ergibt sich der
weiter oben definierte Laplace-Operator.
Bei n-Formen fällt der erste Operator weg, und es gilt (siehe oben)
,
also im Wesentlichen wieder der weiter oben definierte Laplace-Operator.
Die obige Definition scheint also wirklich eine vernünftige Verallgemeinerung
des Laplace-Operators auf p-Formen zu ergeben.
Und damit sind wir auch schon bei unserer Differentialgleichung angekommen,
deren Lösungsraum isomorph mit der de Rham'schen Kohomologiegruppe ist,
denn es gilt der folgende beeindruckende Satz:
Satz von Hodge:
Jede Äquivalenzklasse der de Rham'schen Kohomologiegruppe
enthält einen eindeutigen Repräsentanten , der
die Hodge-Laplace-Differentialgleichung
erfüllt. Da man die Lösungen der Hodge-Laplace-Differentialgleichung
auch als harmonische Formen bezeichnet, kann man auch sagen:
Jede Äquivalenzklasse enthält eine eindeutig bestimmte harmonische Form.
Die de Rham'schen Kohomologiegruppe ist isomorph (eins-zu-eins abbildbar)
zum Lösungsraum der Hodge-Laplace-Differentialgleichung.
Gleichwertig dazu ist auch die folgende Formulierung:
Jede geschlossene p-Form (also )
lässt sich eindeutig schreiben
als Summe einer harmonischen Form und einer exakten Form:
mit .
Ich möchte diesen Satz hier nicht beweisen,
aber es ist sicher interessant, zumindest einige Ideen kurz darzustellen,
die hinter diesem Beweis stecken.
Die erste Idee besteht darin, ein Skalarprodukt auf dem Raum der p-Formen
einzuführen. Die Basis dafür bildet die Definition des Hodge-Stern-Operators
aus Kapitel 12: Hodge-Sternoperator, Volumenform, Gradient, Divergenz, Rotation:
mit der Volumenform und der punktweise definierten Metrik
.
Die obige Gleichung gilt separat in jedem Punkt der Mannigfaltigkeit,
d.h. der Hodge-Stern-Operator ist punktweise definiert und benötigt
keine Umgebungen von Punkten.
Für Differentialoperatoren benötigt man jedoch auch Umgebungen von Punkten.
Daher verwenden wir die obige punktweise gegebene Gleichung und integrieren sie
über alle Punkte der Mannigfaltigkeit bzw. geeigneter Teilgebiete.
Da es sich insgesamt um n-Formen handelt, sind solche Integrale über geeignete
Parametrisierungen (z.B. gegeben über die Koordinatenabbildungen) wohldefiniert.
Auf diese Weise entsteht ein Skalarprodukt von p-Formen, das wir mit
bezeichnen:
Aus der Funktionalanalysis bzw. aus der Quantenmechanik kennt man den Begriff
des adjungierten Operators, den man über ein Skalarprodukt definiert.
Genauso definieren wir hier den adjungierten d-Operator, den wir mit
bezeichnen:
Das Adjungieren wirft den Operator also gleichsam auf die
andere Seite des Skalarproduktes.
Nun muss auf beiden Seiten des Skalarproduktes eine Form gleichen Grades
stehen. Um also bilden zu können,
muss zu einer p-Form eine (p + 1) -Form hinzugenommen werden,
da der d-Operator aus einer p-Form eine (p + 1) -Form macht.
Die linke Seite macht daher nur Sinn,
wenn der \delta-Operator aus einer (p + 1) -Form wieder eine p-Form macht.
Dies sieht man auch an der expliziten Formel für den -Operator,
die sich aus der Definition ergibt:
Der Laplaceoperator ist damit gleich
und er ist selbstadjungiert:
Man kann nun zeigen, dass
folgende Äquivalenz gilt:
Und nun kommt der entscheidende Schritt:
Man kann zeigen, dass die Menge der harmonischen Formen
(d.h. es gilt ) endlich-dimensional ist, und dass
sich jede (nicht unbedingt geschlossene) p-Form eindeutig in die Summe einer harmonischen p-Form
(also ), einer exakten p-Form
und einer ko-exakten p-Form
zerlegen lässt:
mit .
Wir können hierauf den d-Operator anwenden und dann verwenden, dass
ist und ist
(denn oben hatten wir bereits gesagt, dass
äquivalent ist zu
und ):
Für die geschlossenen p-Formen (also ) ist dann
also und somit auch
Da das Skalarprodukt nicht entartet ist, folgt .
Das setzen wir oben in
ein, so dass sich also die geschlossenen p-Formen eindeutig schreiben
lassen als Summe einer harmonischen Form und einer exakten Form:
Bei der Äquivalenzklassenbildung spielt keine Rolle mehr:
d.h. die Elemente der de Rham'schen
Kohomologiegruppe entsprechen eins-zu-eins den Lösungen der
Hodge-Laplace-Gleichung. Genau das ist der Satz von Hodge.
Selfridge, Arnold, Warnick: Electromagnetics
Enthält eine sehr gute Veranschaulichung von Differentialformen im dreidimensionalen
Raum und ihre Anwendung auf die Elektrodynamik.