Kapitel 8
Aufbruch in neue Welten
2 Higgs-Teilchen und neue Physik am LHC
Zusammenfassung des Buchkapitels:
Im Dezember 1994 wurde am Europäischen
Kernforschungszentrum CERN bei Genf folgender Entschluss gefasst:
Nach Abschalten des LEP im Jahr 2000 sollte im LEP-Ringtunnel (27 km Umfang) ein neuer
Teilchenbeschleuniger gebaut werden, der in bisher unerreichbare Energieregionen
vorstoßen sollte: der Large Hadron
Collider (LHC). In ihm sollten zwei gegenläufig kreisende Protonenstrahlen auf bis zu 7 TeV
gebracht werden (Elektronen lassen sich leider nicht verwenden, da sie aufgrund der
Synchrotronstrahlung zuviel Energie verlieren würden). Ende 2009 war es dann soweit: der LHC ging
(nach einigen Verzögerungen) in Betrieb.
Wie der LHC aussieht, wie man in ihm die beiden gegenläufigen Protonenstrahlen
erzeugt, die Protonen in einzelnen Paketen mit Hohlraumresonatoren auf bis zu 7 TeV beschleunigt
und dabei mit sehr starken Magnetfeldern (8,3 Tesla, erzeugt in supraleitenden Dipolmagneten)
auf ihrer Bahn hält, dazu findet man viele Details im Buchkapitel.
Insgesamt kreisen im Normalbetrieb pro Strahl bis zu 2808 Protonenpakete mehrere Stunden lang im Ringtunnel,
wobei sie an vier Punkten zur Kollision gebracht werden.
An jedem Kollisionspunkt kommt es so zu etwa 600 Millionen Proton-Proton-Kollisionen pro
Sekunde, wobei jeweils bis zu 14 TeV zur Bildung neuer Teilchen zur
Verfügung stehen. Dabei können Dutzende von Teilchen bei einer Kollision entstehen,
die von einem der vier großen LHC-Detektoren CMS,
ALICE, ATLAS und LHCb nachgewiesen werden -- an jedem
der 4 Kollisionspunkte befindet sich einer dieser Detektoren.
Hier ist eine Übersicht der Detektoren zusammen
mit den wichtigsten LHC-Parametern:
LHC-Layout:
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Beschleunigertyp
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Proton-Proton-Ring-Collider
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Ort
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Bei Genf (am Genfer Flughafen)
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Ringumfang
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26659 m
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Tiefe unter der Erdoberfläche
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50 bis 175 m
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Protonenstrahlen:
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max. Protonenergie
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7 TeV = 7000 GeV
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max. Protongeschwindigkeit
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99,9999991 % der Lichtgeschwindigkeit
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max. Anzahl Protonpakete pro Strahl
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2808
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Paketgröße zwischen Kollisionspunkten
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einige cm lang und ca. 1 mm breit
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Mindestabstand zwischen zwei Paketen
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7 m, entspricht 25 nsec
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max. Protonenanzahl pro Paket
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1,1
∙ 1011 (110 Milliarden)
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Anzahl Umläufe pro Sekunde
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11245
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max. Anzahl Kollisionen pro Sekunde
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600 Millionen
|
Lebensdauer Strahl
|
ca. 10 Stunden
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max. Luminosität:
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1034 cm−2 s−1
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Dipolmagnete:
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Anzahl
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1232
|
max. Magnetfeldstärke
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8,33 T
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max. Stromstärke
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11700 A
|
Länge
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14,3 m
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Arbeitstemperatur
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1,9 K
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RF-Resonatoren
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Anzahl pro Protonstrahl
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8
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Frequenz
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400 MHz
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Elektrische Spannung pro Resonator
|
2 Mio. Volt
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Detektoren:
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ATLAS
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Generalist, 46 m lang, 25 m hoch
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CMS
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Generalist, 21 m lang, 15 m hoch
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LHCb
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b-Hadronen, 21 m lang, 10 m hoch
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ALICE
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Blei-Atomkerne, 26 m lang, 16 m hoch
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LHCf
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2 kleine Detektoren, 30 cm lang, 10 cm hoch
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TOTEM
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mehrere kleine Detektoren am Protonstrahl
|
Von den bis zu
600 Millionen Proton-Proton-Kollisionen pro Sekunde sind meist nur etwa 100 potentiell interessant,
die von ausgeklügelten schnellen Algorithmen herausgefiltert und weitergegeben werden.
Tausende von Physikern in aller
Welt haben Zugriff auf diese Daten und versuchen, in ihnen das Higg-Teilchen
oder andere interessante Phänomene aufzuspüren.
Dabei ist es nicht ganz einfach, Proton-Proton-Kollisionsdaten
sauber auszuwerten und physikalisch richtig zu interpretieren, da Protonen
selber zusammengesetzte Teilchen sind.
Im Winter 2009/2010 begann sich das Fenster in
die noch unbekannte Welt jenseits der 1 TeV -Protonenergie langsam zu öffnen.
Anders als in den Experimenten der vorangegangenen 40 Jahre,
in denen man im Wesentlichen die Vorhersagen des Standardmodells verifiziert
hatte, betrat man diesmal wirkliches Neuland, denn die vorhandenen Theorien
machen keine präzisen Vorhersagen darüber, wie die neue Energieregion aussehen
und was genau man dort finden würde.
Hier sind die neuesten Entwicklungen in Stichworten:
-
30. November 2009:
Der LHC erreicht eine Strahlenergie von 1,18 TeV und übertrifft damit den
bisherigen Weltrekord von 0,98 TeV vom Tevatron.
Bis zum 16. Dezember werden in den Detektoren erste Proton-Proton-Kollisionensdaten
bei dieser Energie aufgezeichnet.
Es folgt eine mehrwöchige Umbaupause, u.a. um die für 3,5 TeV Strahlenergie notwendigen hohen Stromstärken von knapp 6000 Ampere
in den supraleitenden Dipolmagneten sicher handhaben zu können.
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25 bis 29 Januar 2010 (Chamonix Workshop):
Es wird entschieden, den LHC für längere Zeit (bis Mitte oder Ende 2011) bei halber Strahlenergie (3,5 TeV pro Strahl) zu fahren.
Hintergrund: Für die volle Strahlenergie von 7 TeV sind weitere
zeitaufwändige Umbauarbeiten notwendig, während man 3,5 TeV bereits problemlos fahren kann
und auch bei dieser Energie mit wichtigen Entdeckungen rechnet.
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19. März 2010:
Der LHC erreicht zum ersten Mal die anvisierte halbe Strahlenergie von 3,5 TeV.
Der Beginn der physikalischen Messungen steht unmittelbar bevor.
Erste Kollisionen sind für den 30. März geplant.
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30. März 2010:
Endlich -- dies ist die Top-Meldung in allen Nachrichtensendungen: Die beiden Protonenstrahlen laufen
mit je einem Protonenpaket stabil
bei je 3,5 TeV und es ist zum ersten Mal gelungen, sie bei dieser Energie
mehr als drei Stunden lang zur Kollision zu bringen.
Eine halbe Millionen Kollisionen wurden von den Detektoren gemessen und aufgezeichnet.
Damit hat das physikalische Messprogramm am LHC begonnen.
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April - Mai 2010:
Die Kollisionsrate und mit ihr auch die Gesamtzahl der
insgesamt aufgezeichneten Kollisionen werden ständig erhöht,
indem die Zahl der Protonpakete und die Zahl der Protonen pro Paket
schrittweise vergrößert wird (von einem Paket am 30. März auf
13 Pakete seit dem 22. Mai)
und der Strahldurchmesser an den Kollisionspunkten auf nur noch
45 Mikrometer (seit dem 19. April) zusammengedrückt wird.
Insgesamt kann die Kollisionsrate vom 30. März bis zum 22. Mai um das 200-fache vergrößert werden.
Bis Ende 2010 soll ein weiterer Faktor 500 hinzukommen, und in den Jahren danach ein weiterer Faktor 100.
Die ersten seltenen (bekannten) Teilchen wie das W-Boson
werden gesichtet.
Mehr zu den ersten 2 Monaten bei 3,5 TeV siehe
Rolf Heuer: Message from the Director General: 2 Months at 3.5 TeV, 2. Juni 2010,
http://user.web.cern.ch/user/news/2010/100602.html.
Zugleich gibt es Neuigkeiten vom Tevatron:
Man hat hier die über viele Jahre gesammelten enormen Datenmengen sorgfältig nach
Doppel-Myon-Ereignissen im Zerfall neutraler B-Mesonen durchforstet.
Dabei stellte man fest, dass Myonpaare mit etwa 1 % größerer Häufigkeit entstehen
als Antimyonpaare -- das ist deutlich mehr als die vom Standardmodell vorhergesagten 0,02 %.
Die Verletzung der Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie (CP-Verletzung) ist also offenbar stärker als
im Standardmodell vorhergesagt.
Man darf gespannt sein, ob andere Experimente (insbesondere der LHCb-Detektor am LHC) diese Ergebnisse bestätigen können.
Mehr dazu siehe in den Zusatzinfos zu Kapitel 4.2 c) CP-Verletzung
sowie z.B.
Jörg Rings: CP-Verletzung: Ein Hinweis auf Physik jenseits des Standardmodells oder
Spiegel Online (25.5.2010): Fermilab -- Neue Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie entdeckt
sowie
physicsworld.com -- Breakthrough in the matter–antimatter divide.
Original-Veröffentlichung:
Evidence for an anomalous like-sign dimuon charge asymmetry,
Authors: The D0 Collaboration: V.M. Abazov, et al, arXiv:1005.2757v1.
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8. Juni 2010:
Die Resultate der ersten 2 Monate LHC-Laufzeit bei 3,5 TeV Strahlenergie werden
auf der Physics at LHC conference (DESY, Hamburg) präsentiert.
Bisher wurden weder das Higgs-Boson noch SUSY-Teilchen oder ähnliches gefunden, aber das ist auch nicht überaschend,
da man dazu vermutlich sehr viel mehr aufgezeichnete Kollisionsdaten benötigt als bisher gesammelt werden konnten
(man denke zum Vergleich an den aufwendigen Nachweis des Top-Quarks am Tevatron, für den bis zum Jahr 1995 extrem viele
Kollisionsdaten erforderlich waren). Aus den bisher gewonnenen Kollisionsdaten konnte aber die bereits bekannte Physik
des Standardmodells sehr schön rekonstruiert werden, was beweist, dass die Detektoren und Algorithmen einwandfrei arbeiten.
Weitere Details unter
Barbara Warmbein: Scientists present first “bread-and-butter” results from LHC collisions.
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18. Juni 2010:
Die bisher gemessenen Daten zu Neutrino-Oszillationen am MINOS-Experiment (Fermilab) deuten an,
dass der dort gemessene Massenunterschied zwischen den Neutrinomassen,
die in Tau-Neutrinos und Myon-Neutrinos enthalten sind (etwa
m32 − m22 = 2,35 × 10−3 eV2 )
sich von dem gemessenen Wert bei den entsprechenden Antineutrinos
(etwa m'32 − m'22
= 3,35 × 10−3 eV2 ) unterscheidet.
Mal sehen, ob sich dieses noch etwas wackelige Ergebnis bei mehr Messdaten weiter erhärtet.
Falls ja, dann wäre das eine Abweichung von ganz allgemeinen Grundlagen der relativistischen Quantenfeldtheorie,
nach der Teilchen und Antiteilchen gleiche Massen haben müssen.
Siehe auch
physicsworld.com -- Neutrino surprise emerges from MINOS.
Mehr zu Neutrino-Oszillationen siehe in den Zusatzinfos zu Kapitel 4.2 b) Neutrino-Oszillationen.
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30. Juni 2010:
Weitere Steigerung der Kollisionsrate am LHC, siehe
CERN Bulletin: A new record peak luminosity for the LHC.
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15. Juli 2010:
Im LHC kreisen nun mehrere Protonpakete mit 1011 Protonen pro Paket.
Die maximale Luminosität (s.u.) konnte auf 1,4 × 1030 cm−2 s−1
gesteigert werden. Siehe
Message from the Director General:
Progress at the LHC.
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26. Juli 2010:
Am LHC werden die ersten top-Quarks nachgewiesen, siehe
CERN Press Release: ICHEP 2010 conference highlights first results from the LHC.
Vom Tevatron (Fermilab) kommen neue
Abschätzungen für die Higgs-Masse: sie sollte
zwischen 114 - 158 GeV oder zwischen 175 - 185 GeV liegen.
Der Bereich dazwischen (158 - 175 GeV) kann weitgehend ausgeschlossen werden, sonst
hätte man es am Tevatron bereits gesehen.
Ein relativ schweres Higgs-Teilchen mit einer Masse über 140 GeV könnte in W- oder Z-Bosonpaare
zerfallen und wäre damit relativ leicht am LHC identifizierbar (möglicherweise innerhalb von 1 bis 2 Jahren).
Ein leichteres Higgs-Teilchen würde dagegen eher in b-Quark-Antiquarkpaare zerfallen, die aber auch auf andere
Weise im LHC entstehen können, so dass das Higgs hier schwerer zu identifizieren ist und man entsprechend viele Daten und Zeit braucht
(bei einem sehr leichten Higgs womöglich bis zu 5 Jahre).
Siehe physicsworld.com: Fermilab hones in on Higgs mass.
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09. August 2010:
Die integrierte Luminosität erreicht 1 pb−1 = 0,001 fb−1 .
Grafiken dazu siehe http://bit.ly/901ql2 (ATLAS) und
http://bit.ly/9yO19J (CMS).
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20. August 2010:
Mittlerweile arbeitet der LHC mit 48 Protonenpaketen pro Strahl (siehe
http://twitter.com/CERN/status/21647298095 ).
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24. September 2010:
Die Zahl der Protonenpakete konnte auf 56 Pakete pro Strahl erhöht werden,
angeordnet in 8 Gruppen (engl. trains) zu je 8 Paketen, so dass eine
Luminosität von 2 × 1031 cm−2 s−1 erreicht wurde.
Die Lebensdauer der beiden kreisenden Protonenstrahlen betrug dabei 40 Stunden -- ein sehr guter Wert.
Details siehe
Message from the Director General: A game-changing fill for the LHC.
Am CMS-Detektor wurden bei solchen Proton-Proton-Kollisionen, in denen mehr als 100 Teilchen entstehen,
neuartige Korrelationen im Ablenkungswinkel zwischen einigen der Teilchen gemessen.
Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass bei der extrem energiereichen Kollision kurzzeitig
ein Quark-Gluon-Plasma erzeugt wurde.
Siehe
Welt der Physik: LHC: Neues Phänomen bei Protonenkollision beobachtet
sowie
CMS observes a potentially new and interesting effect.
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24. Oktober 2010:
Die für 2010 angestrebte maximale Luminosität von
1032 cm−2 s−1
(bei 248 Protonenpaketen pro Strahl)
konnte erreicht werden, siehe
News: 14 October 2010: LHC protons 2010: mission accomplished.
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05. November 2010:
Ende der Proton-Proton-Kollisionen für 2010 bei maximal
2 × 1032 cm−2 s−1 Luminosität.
Bis 6. Dezember 2010 kollidieren nun Bleikerne statt Protonen miteinander, wobei die Kollisionen
im darauf spezialisierten ALICE-Detektor ausgewertet werden. So möchte man kurzzeitig ein Quark-Gluon-Plasma
erzeugen. Danach erfolgt eine Wartungspause, bis es im März 2011 mit Proton-Proton-Kollisionen weitergeht.
Siehe
CERN Press Release: The LHC enters a new phase sowie
Welt der Physik: LHC läuft jetzt mit Blei.
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12. Januar 2011:
Das Tevatron soll Ende 2011 abgeschaltet werden, siehe
Welt der Physik: Tevatron wird Ende 2011 abgeschaltet
und physicsworld.com: Tevatron reaches the end of the road.
Damit dürfte das Tevatron bei der Suche nach Higgs & co. wohl aus dem Rennen sein.
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01. Februar 2011:
Der LHC soll nun nicht nur bis Ende 2011, sondern ein Jahr länger
bis Ende 2012 bei 3,5 TeV Strahlenergie laufen,
um die Chance auf die Entdeckung neuer Phänomene bei dieser Energie zu erhöhen.
Das Upgrade auf die doppelte Strahlenergie von 7 TeV wurde damit um ein Jahr
nach hinten verschoben. Siehe
Welt der Physik: LHC läuft weiter bis 2012 und
CERN Press Release: CERN announces LHC to run in 2012.
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28. Februar 2011:
Der LHC läuft nach seiner Winterpause langsam wieder an, siehe
LHC Report: Beams are back in the LHC.
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15. März 2011:
Die Messungen am Tevatron grenzen den möglichen Bereich für die Higgs-Masse weiter ein.
Sie liegt demnach im Bereich bei 114 - 156 GeV oder in einem sehr schmalen Bereich
bei 183 – 185 GeV. Das obere Massenfenster hat sich damit fast geschlossen
(siehe auch oben den Eintrag zum 26. Juli 2010).
Details
physicsword.com: Tevatron tightens its grip on the Higgs.
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29. Mai 2011:
Mittlerweile arbeitet der LHC mit
1092 Protonpaketen pro Strahl und einer maximalen Luminosität von
1,26 × 1033 cm−2 s−1.
Insgesamt wurden in 2011 bereits 0,8 fb−1 an integrierter Luminosität erreicht.
Siehe http://ow.ly/5f0Q9.
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17. Juni 2011:
Am LHC wird die für 2011 anvisierte integrierte Luminosität von
1 fb−1 überschritten.
Siehe http://t.co/0Ob2RNa.
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05. August 2011:
Am LHC wird die Luminosität von
2 × 1033 cm−2 s−1 erreicht und die
integrierte Luminosität von
2 fb−1 überschritten.
Siehe http://twitter.com/#!/cern/.
-
13. Dezember 2011:
Erste ernsthafte Anzeichen für das Higgs-Boson bei 125 GeV!
Sowohl das ATLAS- als auch das CMS-Experiment sehen erste Anzeichen dafür,
dass das Higgs-Boson im Massenbereich zwischen 115 und 130 GeV existieren könnte,
insbesondere bei etwa 125 GeV.
Noch sind die Daten nicht ausreichend, um von der Entdeckung des Higgs-Teilchens
sprechen zu können,
aber immerhin sehen beide Experimente unabhängig voneinander entsprechende
Hinweise, und zwar in mehreren Zerfallskanälen.
Die Chancen stehen also nicht schlecht, aber noch ist es zu früh zum Jubeln!
Siehe
CERN: ATLAS and CMS experiments present Higgs search status
sowie physicsworld: Physicists weigh up Higgs signals.
-
13. Februar 2012:
Man hat sich dazu entschlossen, ab März die Protonenergie auf 4 TeV (statt wie bisher 3,5 TeV) zu erhöhen,
bevor Ende 2012 der 20-monatige Umbau des LHC für 7 TeV beginnt.
Angestrebt werden 15 fb−1 integrierte Luminosität bis zum Jahresende
(also dreimal mehr als bisher erreicht). Siehe
CERN press release: LHC to run at 4 TeV per beam in 2012.
-
04. Juli 2012:
Endlich -- die ersten Anzeichen aus dem Jahr 2011 sind durch die neuen Daten aus 2012 bestätigt worden:
CERN hat den Nachweis des Higgs-Teilchens offiziell bekanntgegeben!!!
Siehe
CERN Press Release: CERN experiments observe particle consistent with long-sought Higgs boson
sowie
Welt der Physik: Der lange Weg zum Higgs-Teilchen.
-
12. November 2012:
Am LHCb-Detektor konnte die sehr geringe Zerfallsrate von
Bs-Mesonen (bestehend aus b- und anti-s-Quark oder umgekehrt)
in ein Myon-Antimyon-Paar experimentell bestimmt werden:
Dieser Zerfallskanal tritt demnach nur bei etwa drei von
einer Milliarde (3 × 10− 9) zerfallenden Bs-Mesonen auf.
Im Standardmodell ist dieser Zerfallskanal stark unterdrückt;
er könnte allerdings auch über relativ leichte virtuelle SUSY-Teilchen auftreten.
Die gemessene Rate ist nun in guter Übereinstimmung mit dem Standardmodell,
sodass potentielle SUSY-Teilchen relativ massereich sein müssen -- andernfalls
müssten sie zu diesem Zerfall beitragen und die gemessene Zerfallsrate müsste größer sein.
Siehe
quantumdiaries: Huge impact from a tiny decay
sowie
Webseite des LHCb-Experiments.
-
17. Dezember 2012:
Der vorläufig letzte LHC-Lauf mit Proton-Proton-Kollisionen wurde beendet.
Damit ist es dem LHC gelungen, bisher rund 400 Zerfallsereignisse zu erzeugen,
die vermutlich aus dem Zerfall von Higgs-Teilchen stammen.
Insgesamt konnten rund 30 fb− 1 an integrierter Luminosität gesammelt werden,
von denen 23 fb− 1 aus dem Jahr 2012 stammen.
Für die nächsten Wochen sind Kollisionen zwischen Blei-Atomen und Protonen geplant, bevor die
Umbau-Phase bis 2015 beginnt.
Siehe
Cern press release: The first LHC protons run ends with new milestone.
-
14. Februar 2013:
Der LHC wird nach rund drei Jahren Laufzeit heruntergefahren,
um ihn für die höhere Strahlenergie von 7 TeV sowie größere Luminositäten aufzurüsten.
Das Wiederanfahren ist für 2015 geplant.
Siehe
Cern press release: First three-year LHC running period reaches a conclusion.
-
14. März 2013:
Die Auswertung aller bisher gesammelten LHC-Daten untermauert die Vermutung,
dass es sich bei dem im Sommer 2012 am LHC gefundenen Teilchen
tatsächlich um ein Higgs-Boson handelt.
Ob es sich um DAS Higgs-Boson des Standardmodells handelt
oder nur um eines der Higgs-Bosonen, wie sie in Erweiterungen des
Standardmodells auftreten, bleibt noch offen.
Siehe
Cern press release: New results indicate that particle discovered at CERN is a Higgs boson.
-
21. März 2013:
Mal eine Nachricht nicht vom LHC:
Vom Planck-Weltraumteleskop wurde die erste bereinigte Auswertung der Daten
über die kosmische Hintergrundstrahlung veröffentlicht.
Die Ergebnisse des WMAP-Weltraumteleskops und des kosmologischen Standardmodells
wurden damit weitgehend bestätigt und präzisiert.
Demnach ist das Universum 13,82 Milliarden Jahre alt und damit etwas älter als bisher angenommen.
4,9 Prozent der Materie darin bestehen aus der uns bekannten Materie (Atome),
26,8 Prozent sind Dunkle Materie und 68,3 Prozent sind Dunkle Energie.
Allerdings sieht man auf großen Winkelskalen auch ungewöhnliche Effekte,
für die man noch keine Erklärung hat: So gibt es eine leichte Asymmetrie
zwischen den beiden Himmelshälften
sowie einen großen etwas kälteren Fleck am Himmel. Wer weiß, welche Erkenntnisse hier noch auf uns warten --
vielleicht ist unser Universum doch nicht ganz so gleichmäßig in allen Raumrichtungen wie vermutet!
Siehe
WeltderPhysik: Planck-Daten der kosmischen Hintergrundstrahlung bestätigen bisherige Modelle.
Luminosität:
Der Begriff der Luminosität wird im Buchkapitel genauer erklärt. Er sagt aus, wieviele Kollisionen pro Sekunde möglich sind,
wobei man dazu die Luminosität noch mit dem Wirkungsquerschnitt der Reaktion multiplizieren muss
(der Wirkungsquerschnitt ist anschaulich die Fläche, mit der sich zwei Protonen gegenseitig den Weg verstellen).
Siehe auch Wikipedia: Luminosity,
Abschnitt In scattering theory and accelerator physics.
Die integrierte Luminosität sagt aus, wieviel Luminosität man über die Zeit gesammelt hat.
Multipliziert mit dem Wirkungsquerschnitt ergibt sie die Zahl der bisher aufgezeichneten Kollisionen.
Da Higgs- und SUSY-Teilchen sehr selten auftreten, benötigt man eine große Anzahl aufgezeichneter Kollisionen für ihre
Entdeckung, also möglichst viel integrierte Luminosität.
Die Entwicklung der Luminosität am LHC ist also ganz entscheidend für die Entdeckung neuer Physik.
Hier sind einige aktuelle und geplante Luminositäten am LHC und Tevatron
(die inverse Flächeneinheit 1 / Femtobarn, kurz fb−1 , ist dabei gegeben durch
1 fb−1 = 1039 cm−2 ;
für die Entdeckung des Higgs-Teilchens vermutete man, dass
etwa 10 bis 30 fb−1 erforderlich sein würden, je nach Higgs-Masse -- und tatsächlich
konnte seine Entdeckung am 04.07.2012 mit rund 12 fb−1 bekannt gegeben werden!):
Datum
|
Luminosität in cm−2 s−1
|
integrierte Luminosität in fb−1
|
Tevatron:
|
Proton-Antiproton bei je 1 TeV
|
|
April 2010
|
4 × 1032
|
8
|
LHC:
|
Proton-Proton bei je 3,5 TeV
|
|
März 2010
|
1027
|
|
Mai 2010
|
2 × 1029
|
|
Juni 2010
|
8 × 1029
|
0,00003
|
Juli 2010
|
1,4 × 1030
|
0,0002
|
August 2010
|
4 × 1030
|
0,001
|
September 2010
|
2 × 1031
|
0,004
|
Oktober 2010
|
1032
|
0,017 |
November 2010
|
2 × 1032
|
0,045 |
Mai 2011
|
1,26 × 1033
|
0,8 |
Juni 2011
|
1,26 × 1033
|
1,0 |
August 2011
|
2 × 1033
|
2,0 |
Oktober 2011
|
|
5,0 |
Ende 2011
|
|
6,1 |
Juni 2012
|
|
6,1 + 6,6 = 12,7 |
Ende 2012
|
|
30 |
LHC:
|
Proton-Proton bei je 7 TeV
|
|
2015
|
(?)
|
(?)
|
2016
|
1034 (?)
|
|
Errata:
-
Index: Eintrag CRM-Matrix überflüssig (die CKM-Matrix ist gemeint)
-
Index: es muss statischer Grenzfall heißen, nicht statistischer Grenzfall
-
Zeittafel Jahr 1974: es muss Stephen Hawking heißen, nicht Steven Hawking
Zusatzinformationen:
"According to inflation, the more than 100 billion galaxies,
sparkling throughout space like heavenly diamonds, are nothing but quantum mechanics writ
large across the sky. To me, this revelation is one of the greatest wonders of the modern scientific age."
(Brian Greene in
THE FABRIC OF THE COSMOS,
Space, time, and the texture of reality -- passt gut zu Buchkapitel 8.3 Abschließende Bemerkungen)
a) Bilder zum LHC aus dem Internet
b) Herleitung der Formel E = e c B r
a) Bilder zum LHC aus dem Internet:
Lage des unterirdischen LHC-Beschleunigerrings (roter Kreis).
Im Vordergrund erkennt man die Hügel des französischen Jura, im Hintergrund sieht man
den Genfer Flughafen, den Genfer See und am Horizont die Alpen.
Copyright: CERN
Quelle: Cern Document Server, http://cdsweb.cern.ch/record/42370,
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So sehen große Teile des LHC-Tunnels aus. Die blauen Zylinder sind Magnete,
in deren Inneren die beiden Vakuumröhren für die beiden gegenläufigen
Protonenstrahlen verlaufen (Schnittbild siehe weiter unten).
Der hier gezeigte Teil des Tunnels befindet sich unter dem LHC P8, in der Nähe des LHCb.
Quelle: Wikimedia Commons File:CERN LHC Tunnel1.jpg,
von Julian Herzog, 2008, dort lizensiert unter der
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Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Innenansicht eines LHC-Dipolmagneten. Man erkennt gut die beiden Vakuumröhren (Beam Pipes) für die Protonenstrahlen.
Copyright: CERN
Quelle: Cern Document Server, http://cdsweb.cern.ch/record/40524,
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Supraleitende Radiofrequenz(RF)-Hohlraum-Resonatoren zur Beschleunigung der Protonen am LHC.
Copyright: CERN
Quelle: Cern Document Server, http://cdsweb.cern.ch/record/1077038,
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Aufbauarbeiten am CMS (Compact Muon Solenoid) -Detektor.
Quelle: Wikimedia Commons File:CERN CMS vacuum tank.jpg,
von Arpad Horvath, 2005, dort lizensiert unter der
Creative Commons
Attribution ShareAlike 3.0 License.
Blick ins Innere des ATLAS-Detektors im Juli 2007.
Copyright: CERN
Quelle: Cern Document Server, http://cdsweb.cern.ch/record/1057769,
verwendet gemäß der Bedingungen unter
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Die Formel E = e c B r bestimmt in einem Kreisbeschleuniger
mit gegebenem Bahnradius r und Magnetfeld B, mit welcher Energie E die Teilchen mit Ladung e darin kreisen,
wobei die Formel nur für sehr hochenergetische Teilchen gilt, die fast mit Lichtgeschwindigkeit fliegen.
Bei Protonen bestimmt sie die maximal erreichbare Energie (Tevatron, LHC), während bei Elektronen (LEP)
die starke Energieabstrahlung der begrenzende Faktor ist. Im LHC könnte man die Protonen also durchaus
auf höhere Energien beschleunigen, wenn sie dann nicht aus der Kurve fliegen würden.
Im LEP erreichen die Elektronen und Positronen dagegen solche Energien gar nicht erst.
Die im Buch erwähnte Formel für die Energieabstrahlung (Synchrotronstrahlung) lässt sich leider
nur mit einigem Aufwand aus den Maxwellgleichungen ableiten.
Die Herleitung der Formel E = e c B r ist dagegen recht einfach:
Wir betrachten ein geladenes Teilchen mit Ladung e
in einem homogenen Magnetfeld B, das wir uns in z-Richtung
vorstellen wollen, während sich das Teilchen mit der Geschwindigkeit v senkrecht dazu bewegen soll
(also in der x-y-Ebene; Vektoren bezeichnen wir wieder mit fetten Buchstaben). Es gilt die relativistische Bewegungsgleichung
dp/dt = e v × B
(siehe Zusatzinfos zu Kapitel 1.4 )
wobei p = m γ v der relativistische Teilchenimpuls ist mit
γ = 1 / √( 1 − (v/c)2 ) und × das
Vektor-Kreuzprodukt bezeichnet.
Die Lorentzkraft F = dp/dt steht also senkrecht auf dem Magnetfeld und der Geschwindigkeit,
so dass der Betrag der Geschwindigkeit sich nicht ändert, sondern nur ihre Richtung.
Also ist auch γ konstant (da nur vom Betrag der Geschwindigkeit abhängig)
und wir haben
dp/dt = m γ dv/dt
Das Teilchen wird immer mit demselben Kraftbetrag
senkrecht zu seiner Bewegungsrichtung abgelenkt, so dass es eine Kreisbahn in der x-y-Ebene
senkrecht zum Magnetfeld beschreibt.
Den Ortsvektor vom Kreismittelpunkt zum Teilchen bezeichnen wir mit r, d.h.
r = |r| ist der Kreisradius. Wir können nun einen konstanten Winkelgeschwindigkeitsvektor
ω in z-Richtung einführen, so dass
v = ω × r
ist. Da ω zeitlich konstant ist, gilt
dv/dt = ω × dr/dt = ω × v
und somit
dp/dt = m γ dv/dt
= m γ ω × v
= e v × B
Da ω und B parallel sind und v senkrecht auf ihnen steht, können wir zu den Beträgen der
Vektoren übergehen:
m γ ω v = e v B
und somit m γ ω = e B .
Mit ω = v / r ergibt sich
m γ v / r = e B und mit der relativistischen Energie
E = m γ c2 (siehe Kapitel 3.2 ) dann
(E/c2) (v/r) = e B .
Das können wir nach der Energie freistellen:
E = e c2 B (r/v) .
Für die hohen Energien, wie sie am LEP, Tevatron und LHC erreicht werden, können wir in guter Näherung
v = c setzen und erhalten schließlich das Endergebnis
Literatur:
-
YouTube: Large Hadron Rap
-- der LHC mal ganz anders, und irgendwie echt nicht schlecht ....
-
YouTube: CernTV, u.a.
CERN in 3 Minutes (2009)
und The Large Hadron Collider.
-
Youtube: Wissensmagazin: Dunkle Materie & Wurmlöcher - Der LHC Beschleuniger (CERN)
-
LHC-Homepage, http://lhc.web.cern.ch/lhc/ -- hier findet man wirklich alles zum LHC,
inklusive aller technischen Details.
-
CERN-Brochure: LHC the guide,
http://cdsmedia.cern.ch/img/CERN-Brochure-2008-001-Eng.pdf -- hier findet man in kompakter Form
alles Wesentliche zum LHC (ich habe diese Bröschüre beim Schreiben des vorliegenden Kapitels immer
gerne zu Rate gezogen).
-
Marjorie Shapiro: Supersymmetry, Extra Dimensions and the Origin of Mass,
Video eines Vortrags in englischer Sprache im Rahmen der Google Tech Talks vom 18. Juni 2007,
http://www.youtube.com/watch?v=-cdbnwaW34g
-- hier erklärt eine Expertin vom ATLAS-Team Details zum LHC und dem ATLAS-Detektor.
Man bekommt ein gutes Gefühl dafür, wo die Schwierigkeiten und technischen Herausforderungen beim LHC liegen.
-
Informationen zum Planck-Weltraumteleskop gibt es beispielsweise unter
ESA: Planck
und unter
astro-ph/0604069: The Scientific Programme of Planck.
Ein erstes Bild des gesamten Himmels, aufgenommen von Planck, gibt es u.a. unter
physicsworls.com: Planck captures the universe coming to life (Jul 5, 2010).
-
Wie wahrscheinlich ist es, in den Jahren 2010 und 2011 erste SUSY-Teilchen am LHC nachweisen zu können?
Infos dazu unter
Capability of LHC to discover supersymmetry with √s = 7 TeV and 1 fb−1,
Authors: Howard Baer, Vernon Barger, Andre Lessa, Xerxes Tata,
arXiv:1004.3594v1.
-
Eine Abschätzung, welche integrierte Luminosität zur Entdeckung des Higgs-Teilchens notwendig ist,
findet man unter
C Rovelli: Standard model Higgs searches with the CMS detector,
IOPscience sowie unter
Michael Dittmar: If the Higgs mass is ... or “What might be known by 2016”.
-
Gut verständliche Infos zum LHC gibt es unter
LHC MACHINE OUTREACH, speziell Infos zur Luminosität und zum Verengen der Strahlen an den Kollisionspunkten unter
Collisions
-
Wie sehen die Planungen am LHC für die nächsten Jahre aus?
Infos dazu (Stand Juni 2010) unter
Mike Lamont for the LHC team: Near and medium term LHC machine prospects.
-
Schlüsselexperimente der Teilchenphysik & Physik am LHC, Universität Karlsruhe, Hauptseminar Sommersemester 2007
-
Einen Vergleich der Luminositäten von LHC und Tevatron findet man unter
Tevatron vs. LHC.
-
Barry Barish, Nicholas Walker, Hitoshi Yamamoto: Beschleuniger der (über-)nächsten Generation,
Spektrum der Wissenschaft, November 2008, S. 22 -- mit vielen detaillierten Infos zum geplanten
International Linear Collider (ILC).
-
Wie kommen eigentlich die Protonen in den LHC? Wer das (und noch mehr) genauer wissen will,
findet mehr dazu unter
http://www.weltmaschine.de/e5/e87611/e104712/index_ger.html .
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last modified
on 28 March 2013